-->

Fräuleinbesuch aus Hamburg zu Gast in Winterthur

  • Fräuleinbesuch in Winthi
  • Man eh (=Manet), wat is dat denn fünne Tussie?
    Nana, du wirst doch wohl dieses Fräulein aus Hamburg kennen, oder?

    Zur Zeit hängen im Zürcher Unterland an vielen Orten Plakate, die bekannte Damen zeigen.
    Manets Nana
    Foto Manets Nana
    (Quelle Kunsthalle Hamburg)

    Wir erkennen ein hübsches Mädchen im Unterrock, weitere Kleider liegen bereit zum Anziehen vor ihr auf einem Hocker. Offensichtlich schminkt sie sich gerade, denn sie steht vor einem Spiegel mit praktischer Kerzenbeleuchtung auf einem hohen Ständer, ähnlich einem Notenständer mit drei Beinen. Im Hintergrund sehen wir eine im japanischen Stil bemalte Tapete, auf der wir einen Ibis an einem Teich entdecken. Das Blau des Korsetts wiederholt sich in den blauen Strümpfen und im Blau des gemalten Teichs im Hintergrund. Ein netter Gag, dieses „Bild im Bild“, wurde von den Surrealisten wie Dali und Magritte später noch verfeinert.

  • Was macht der Herr da in dem Bild?
  • So weit, so hübsch. Was soll an diesem Gemälde so besonders sein? Die wahre Bedeutung dieser adretten Szene entdecken wir am rechten Bildrand. Dort sitzt ein Herr, mit Frack und Zylinder, für den Ausgang bereit, auf einem Sofa, halb angeschnitten, und schaut dem Mädchen zu. Und jetzt erst wird deutlich, um was es hier eigentlich geht: Es ist ihr Freier, ihr Geliebter, und er hält sie aus, denn sie ist eine Courtisane, wir dürfen heute auch „Kurtisane“ schreiben, und lebt von ihrem Gönner. Eine Professionelle, wenn Sie so wollen.

  • Wie kommt die Nana nach Winthi?
  • Das Gemälde ist von Eduard Manet, dem „Vater der Impressionisten“, und hängt für gewöhnlich in der Kunsthalle in Hamburg. Zur Zeit ist es in Winterthur im Museum Oskar Reinhart zu sehen, noch bis zum 28. Januar 2007. Die Winterthurer haben ihre „Kreidefelsen auf Rügen“ an eine Caspar David Friedrich Ausstellung nach Hamburg ausgeliehen, dafür war eine gleichwertige Gegenleihgabe fällig. Darum also nun die Werbung auf den Strassen der prüden und calvinistischen Schweiz mit der Zurschaustellung einer Prostituierten.

    Die Nanas auf der Winterthurer Strasse
    Hier auf der Strasse nach Winterthur vorne rechts die Nana, und dahinter noch eine Dame in Hellblau, mit weisser Schrift und grünem Hintergrund.

  • Où sont les nanas?
  • Manet nennt das Gemälde „Nana“, und dieses Wort ist heute noch üblich in Frankreich als jugendsprachlicher Ausdruck für „Mädchen, Chicks, Tussie“. Der Name erinnert uns an die Figur der „Nana“ in Romane von Manets Freund Emile Zola:

    Die Bezeichnung Nana war gebräuchlich unter den demoiselles und scheint daher nicht unbedingt auf Emile Zolas bekannten Roman „Nana“ zurückzugehen, zumal dieser erst seit dem 16. Oktober 1879 im Feuilleton der Zeitschrift „Le Voltaire“ publiziert wurde, als Manet mit seinem Gemälde bereits riesige Skandale provoziert hatte. Allerdings erschien Zolas Roman „L’assommoir“ [Deutsch: „Der Totschläger“, der Name einer Kneipe in Paris] aus dem Zyklus „Les Rougon-Macquart“, in dem Nana bereits eine Nebenrolle spielt, in Fortsetzungen in der Wochenzeitschrift „République des lettres“ zwischen Juli 1876 und Januar 1877. Die Nana betreffenden Kapitel wurden im November 1876 veröffentlicht, gerade als Manet an seinem Bild arbeitete. Man darf daher wohl von gegenseitiger Inspiration sprechen und nicht von Abhängigkeit, waren doch die beiden gut befreundet.
    (Quelle: Museum Oskar Reinhart)

    Wir lieben dieses Werk, es gehört sicherlich zu den 20 berühmtesten Gemälden der Welt, und wir würden wieder nach Hamburg reisen, um es zu sehen. Doch jetzt ist es in Winterthur! Also nichts wie hin!

    Die dazugehörigen Romane von Emile Zola, „Der Totschläger“ und „Nana“ sind übrigens auch heute noch auf Französisch oder auf Deutsch als Taschenbuch erhältlich und wunderbar spannend zu lesen.

    Zum Schluss für die Kunstfans noch weitere Details zu diesem Bild. Sie müssen das nicht mehr lesen, aber sie sollten, wenn Sie in der nächsten Zeit zufällig in der Nähe von Winterthur sind, unbedingt das Original dort anschauen gehen!

    Für dieses skandalumwitterte, 1877 datierte Gemälde, welches eine Szene aus dem zeitgenössischen Pariser Leben zeigt, stand Henriette Hauser, eine junge Schauspielerin, Modell. Als Schwester von Victorine teilte sie deren Reputation als demoiselle de galanterie. Sie war soubrette, Geliebte des prince d’Orange, der ihr den Übernamen „Citron“ verlieh, und eifrige Besucherin des „Tortoni“ in Paris. Manet, der Henriette Hauser wohl im Salon der von ihm kurz zuvor porträtierten Schauspielerin Nina de Callias kennen gelernt hatte, begann die Arbeiten am Gemälde im Herbst 1876 mit zahllosen Sitzungen, die sich den ganzen Winter hinzogen. Manet musste sein Atelier gut heizen, so dass Henriette déshabillé Modell stehen konnte. Zusätzlich hatte er einen Winkel im Atelier in ein boudoir verwandelt, etwa mit einer Konsole im Stil Louis XV, mit einer Blumenvase sowie entsprechendem Mobiliar. Die mit Blumen und Ibis geschmückte japanische Tapete im Hintergrund findet sich auch auf weiteren Werken Manets jener Zeit, etwa im „Bildnis Nina de Callias“ und im „Bildnis Stéphane Mallarmé“ (beide Paris, Musée d’Orsay). Der erwartungsvoll musternde Herr rechts mit seinem Zylinder und dem Spazierstöckchen in den Händen lässt keinen Zweifel über Ort und Handlung dieser Szene sowie über seine Absichten offen. Er wurde schon wiederholt als eine Art Vorgänger von Emile Zolas Comte Muffat bezeichnet, dem in Zolas Roman die Rolle eines Nana völlig verfallenen Gönners zukommt. Mit der magischen Verführungskraft ihres Körpers hat sie sich zwar in der korrumpierten Gesellschaft des zweiten Kaiserreiches einen Platz erobert, ohne indes von dieser akzeptiert zu werden.
    (Quelle)

    Informationen zu Öffnungszeiten etc. finden Sie hier: museumoskarreinhart.ch

    Und Obacht! Das ist nicht die Nana, auch wenn die beiden Damen nah beieinander stehen.
    Nicht Nana sonder Gut

    

    7 Responses to “Fräuleinbesuch aus Hamburg zu Gast in Winterthur”

    1. Basil Says:

      Richtig, man sollte sich regelmässig den schönen Künsten widmen und seinen Geist erweitern. Eine kleine Provokation durch eine adrett zur Schau gestellte Courtisane mag da gerade Recht kommen und als Einladung dienen, Winterthur wieder einmal einen kleinen Besuch abzustatten.

      Eine andere schöne Kunst, die mir sehr gefallen hat, ist, wie Kahn gestern 7 von 8 Bällen meistens ziemlich souverän hielt und nun seinen Rücktritt erklärte. Das ist doch Timing. Das Gefühl dafür, das Richtige zum rechten Zeitpunkt zu tun. Das ist auch Kunst, oder?

      Und schliesslich: Die Kunst eines gewählt dosierten Auto-Korsos! Ja, gestern konnte man es endlich erleben:
      a) Freude, b) Toleranz, c) Nachtruhe! Super!

      LG, Basil

    2. Harry R. Says:

      @Jens-Rainer
      Wieder ein interessanter Artikel. Vielleicht habe ich bald die Gelegenheit wieder nach Zürich zu kommen, dann werde ich einen Abstecher nach Winterthur sicher einplanen. Hier in Berllin, dreht sich grade noch alles friedlich und fröhlich um das Thema Fussball.
      Was dir rechts und links am Wegesrand so alles auffällt ist einfach klasse, halt weiter die Augen offen!
      Grüsse aus der fröhlichen Hauptstadt Berlin an die ganze Schweiz!

    3. sylv Says:

      …und nicht zu vergessen die berühmten Nana’s der Nikki Saint Phalle:) (Ex Frau von Jean Tinguely) farbenfrohe Vollweiber 🙂

      http://de.wikipedia.org/wiki/Niki_de_Saint_Phalle

    4. Herbstkönig Says:

      Les nanas … soweit ich weiss heisst das Französisch doch einfach, die Frauen, oder nicht?

    5. Administrator Says:

      @Herbstkönig
      Und wenn du den Artikel ganz liest, weisst du nachher auch, seit wann das so ist und warum das so ist.

    6. Basil Says:

      Spannend wars eben! Aber zurück zum Thema: Die akustische Kunst des Hupens, die jetzt gerade über Zürich liegt, zeigt zwar sicherlich auch
      a) Freude, b) ein wenig Toleranz, aber sicherlich nicht c) Nachtruhe…

    7. Peter Says:

      Liebe Schweizer, wem Winterthur zu nah ist und Hamburg zu weit, der kann die berühmten „Kreidefelsen auf Rügen“ (bereits vorgesehen für einen deutschen Einbürgerungstest!) nebst weiteren Leihgaben aus Winterthur bis zum 20. 8. im Essener Folkwang-Museum sehen! Von da ist es nicht weit bis Gelsenkirchen! Jens weiß Rat. Hamburg folgt später! Der Katalog ist übrigens in Text und Bild von außergewöhnlicher Qualität.