Ich ertrinke, ich ertrank, ich habe ertrogen?
Wir entdeckten diese kleine aber feine Nachricht wie immer im Tages-Anzeiger, unserem Fachblatt für den helvetischen Partizip Perfekt:
500 Franken ertrogen
(Tages-Anzeiger vom 9.2.06)
Was erträgt der Betrüger? Doch nicht das Partizip Perfekt von trinken, trachten, tragen oder trügen?
Wir kannten bisher nur das Verb „trügen“
trü|gen (st. V.; hat) [mhd. triegen, ahd. triugan, verw. mit Traum]:
jmds. Erwartungen unerfüllt lassen; zu falschen Vorstellungen verleiten; täuschen, irreführen:
dieses Gefühl trog sie; meine Ahnungen, Hoffnungen hatten mich nicht getrogen; wenn mich meine Erinnerung nicht trügt (wenn ich mich richtig erinnere), war das vor zwei Jahren; (häufig o. Akk.-Obj.:) der [äußere] Schein trügt; das Erscheinungsbild trog; dieses Gefühl trog; ich hatte, wenn nicht alles trog, diese Operation noch vor mir (Loest, Pistole 123); (…)
Dieses Verb ertrugen wir bisher ohne zu murren. Doch dann lernten wir, dass es da in der Schweiz noch eine Variante mit Umlaut gibt, die uns bisher fremd war:
er|trü|gen st. V.; hat (südd., schweiz.):
durch Betrug erlangen:
So ertrog sie (= als stellvertretende Geschäftsführerin einer Bank) 6,5 Millionen Franken (Blick 31. 7. 84, 2); (…)
Alles erstunken und erlogen? Nein, viel besser: Erstunken und ertrogen! Was übrigens absolut nichts mit dem „Trog“ zu tun hat:, denn der kommt vom Teer:
Trog, der; -[e]s, Tröge [mhd. troc, ahd. trog, zu Teer in dessen eigtl. Bed. „Baum, Eiche“ u. eigtl. = hölzernes Gefäß; (ausgehöhlter) Baumstamm]:
1. großes, längliches, offenes Gefäß, das je nach Verwendungszweck meist aus Holz od. Stein gefertigt ist:
Warum ist „ertrogen“ so genial? Weil es dafür auf Hochdeutsch kein richtiges Equivalent gibt, ausser der umständlichen Umschreibung: „Durch Betrug erlangen„, oder vielleicht die Variante „ergaunert“ und „erschwindelt„. Wobei Letzteres wieder sehr nach „er schwindelt“ klingt, und an den Lügenbaron Münchhausen denken lässt.
Ertrogen wird in der Schweiz in den meisten Fällen Geld:
500’000 Franken ertrogen
(Quelle: blick.ch)
B. über eine Scheinfirma vier Millionen ertrogen haben soll
(Quelle: bielertaqblatt.ch)
Mit faulem Trick Geld ertrogen – Täter gefasst
(Quelle: stawa-bs.ch)
Also sind wir nicht nachtragend und trachten danach, dieses schöne Wörtchen ohne Lug und Trug träge in unsere Sammlung einzutragen. Tragisch? Nee, dröge…
März 25th, 2006 at 10:51
Hallo Jens
Dein Blog ist bei mir schon seit einigen Monaten Pflichtlektüre jeden Tag, gestern also dein gelungener Auftritt im Fernesehen DRS oder jetzt SF1.
Was mich interessiert, wie waren deine Eindrücke vom Fernsehen, habt Ihr nach der Sendung noch lange diskutiert beim Apéro?? Wie war der Kontakt zu den anderen Gästen? Was hattes Du gesamthaft für einen Eindruck der Sendung
Gruss aus Bern
März 26th, 2006 at 8:53
herrlich! du solltest mal ein lexikon online stellen mit den „schweizerzismen“
März 28th, 2006 at 16:17
,,,und weil es sich so schön auf „erstunken und erlogen“ reimt ;-))
März 31st, 2006 at 16:56
Was für ein Zufall! Vorgestern (am 28.3.06) las ich einen Artikel in der (meistgelesenen) Tageszeitung 20 Minuten (oder neu auch franz:20 minutes), dass eine Lehrtochter 118 000 Franken ertrog:
„Lehrtochter ertrog 118 000 Franken
Um ihre Handy-Rechnungen bezahlen zu können, steckte sie während ihrer Lehre 118 000 Franken in die eigene Tasche. Nun wurde die 19-Jährige zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt.“ (Quelle: 20min.ch)
Meine Studien-Kollegen und ich kamen zum Schluss, dass das Wort ertrügen eine Erfindung dieser Tageszeitung sei. Dieser Blog hat scheinbar das Gegenteil bewiesen.
April 4th, 2006 at 22:30
An Peter E.
Manchmal findet man sogar richtige grammatikalische Fehler in 20Minuten. Ich mag mich noch an diesen hier in der französischen Erstausgabe erinnern: http://www.20min.ch/ro/rechercher/story/14673957 . Was, nichts gefunden? Sagt man denn: „etwa 1000 Personen haben der Beerdigung beiwohnen“?