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Da laust sich der Affe — Fellpflege des Businessman im 21. Jahrhundert

Gerade sitzt mir jemand gegenüber, der mit Hilfe eines Kugelschreibers sein Ohr säubert. Nicht ohne die „Ernte“ danach aufmerksam zu begutachten. Zeit für einen Reload:
(reload vom 22.05.06)

  • Da laust sich der Affe
  • Kenne Sie das? Sie sitzen im Zug, in einem Cafe oder Sie halten vor einem Gruppe von erwachsenen Menschen einen Vortrag, und haben die volle Aufmerksam Ihrer Zuhörer. Da fängt doch tatsächlich der Mensch, der Ihnen genau gegenüber sitzt, plötzlich damit an, von seinem Hals ein wenig Haut abzukratzen,
    Fellpflege des Mannes Teil 1
    (Phase 1: Die Materialsammlung am Hals)

    diese dann mit spitzen Fingern vor dem Gesicht zu begutachten,

    Fellpflege: Optische Begutachtung
    (Phase 2: Die Optische Begutachtung der Ausbeute)

    schliesslich daran zu riechen
    Die olfaktorische Probe
    (Phase 3: Die olfaktorische Probe),

    und wenn Sie dann ganz grosses Glück haben, dürfen Sie jetzt auch noch einen Geschmackstest erleben.

    Geschmackstest nach der Fellpflege
    (Phase 4: Der Geschmackstest).

    Alles live und in Echtzeit, immer in genau dieser Reihenfolge.

    Ich weiss nicht, wie oft ich das in den letzten Monaten erlebt habe, und je häufiger ich das erlebe, desto öfter frage ich mich, was an mir diese alten tierischen „Fellpflege“-Instinkte auslöst, die Kopfhaut zu kontrollieren, Schuppen zwischen den Fingernägeln zu zerdrücken, daran zu riechen und sie sogar noch zu probieren.

  • Zuschauer stören nicht im Geringsten
  • Die Menschen, bei denen ich dieses Verhalten beobachte, lassen sich durch mein aufmerksames Zuschauen niemals in ihrem Tun stören. Manchmal möchte ich fragen: „Na, riecht das auch angenehm“ wenn sie bei der Geruchsprobe angekommen sind. Oder ich will ihnen einen Hinweis geben: „Dahinten rechts neben dem Ohr, da ist noch ganz frischer Schmalz zum Abkratzen“.

    Aber natürlich reisse ich mich zusammen, doppelt zusammen, um damit den Ausgleich für die entspannte Befindlichkeit meines Gegenübers zu schaffen. Vielleicht sollte ich ja strenger gucken, wenn es wieder losgeht. Vielleicht hilft ein energisches „Na na, wir wollen uns doch nicht selbst verspeisen?!“ im rechten Moment geäussert?

    Zugegeben, es sind vorwiegend Männer, bei denen ich dieses Verhalten beobachtet habe. Aber eins ist sicher und kann statistisch leicht bewiesen werden. Wenn sich 10 Personen im Raum befinden, dann sitzt derjenigen mit dem starken „mich laust der Affe“ Trieb unter Garantie genau vor mir.

  • In den Zähnen stochern war gestern
  • In der Nase popeln oder zwischen den Zähnen mit leicht fletschendem Geräusch die letzten Speisereste suchen, das habe ich hingegen schon lange nicht mehr erlebt. In der Schweiz putzen sich die Männer nach dem Mittagessen sorgsam die Zähne, wie wir schnell gelernt haben (vgl. Blogwiese). Folglich ist da nichts zum rausprokeln. Bleibt nur die Kopfhaare und Vorzugsweise die Haut am Hals und bei den Ohren. Am meisten liebe ich die kennerische „Schnuppergeste“, wenn das gefundene Hautstück geniesserisch zur Nase geführt wird. Nur was wirklich gut riecht, wird danach noch verköstigt.

    Was würden Sie tun in solch einer Situation? Salz und Pfeffer reichen? Es müssen alte Instinkte sein, aus grauster Vorzeit, als wir noch näher mit dem Affen verwandt waren, die nun plötzlich mitten in unserer Zivilisation wieder an die Oberfläche des menschlichen Verhaltens kommen. Die kleine Schicht „Konvention“, die uns von dieser Urzeit trennt, ist schnell durchbrochen, glauben Sie mir. „Fröhliches Fellpflegen“ bleibt uns da nur zu wünschen, und je nach Ausbeute auch „En Guete“!

    

    8 Responses to “Da laust sich der Affe — Fellpflege des Businessman im 21. Jahrhundert”

    1. Brun(o)egg Says:

      Der Wiese hat eine Frisur wie MickyMaus. Grins.

    2. Brenno Says:

      Leider sagt uns der Administrator nicht, ob er die seltsame Verhaltensweise nur an Schweizern oder auch an seinen Landsleuten beobachtet hat. Vermutlich trifft Ersteres zu, denn sonst würde sein Beitrag wohl nicht ganz in diesen Blog passen. Wenn Herr Wiese nicht zu höflich dazu ist, setzt er es wahrscheinlich als selbstverständlich voraus.
      Da ich selbst so etwas noch nie beobachtet habe, könnten die zwischen Deutschen und Schweizern häufigen Irritationen eine Rolle spielen. Wie ich schon früher ausgeführt habe, werden sie zumeist durch Unterschiede im sprachlichen Ausdruck und dem damit zusammenhängenden Verhalten ausgelöst. Der geschliffene Stil, das hohe Sprechtempo und nicht zuletzt die „keimfreie“ Aussprache der Deutschen rufen bei manchen Eidgenossen eine Abwehrreaktion hervor, wenn auch die früher bei Deutschen auch noch zu beobachtende oberlehrerhafte Allüre weitgehend verschwunden ist. Der Schweizer Reflex ist teilweise geblieben.
      Erwachsene können sich in der Öffentlichkeit natürlich nicht wie die Lümmel von der ersten Bank benehmen, an einem Vortrag schon gar nicht. Also regredieren einzelne von ihnen auf eine frühere Entwicklungsstufe, um sich vom Zustand vermeintlicher oder tatsächlicher zivilisatorischer Unterlegenheit auf ironische Weise zu distanzieren und dem ausländischen Gesprächspartner bei der Gelegenheit noch eins auszuwischen.
      Ob es wohl so ist? Ethnologie müsste man sein!

    3. AnFra Says:

      @Brenno

      Nun, die Frage nach dem Lausen in CH oder D lässt sich relativ einfach beantworten: Bei allen Stämmen der Primaten lässt sich dies beobachten. Also auch bei schweizerischen und deutschen Affen, äh, Menschen. Hier eine kleine Studie, welche ich in einem schweizerischen Affenkäfig beobachten konnte.

      Bei einer exotischen Luftfahrtunternehmung, die meiner Erinnerung nach sich damals noch SWISSAIR nannte, hier eigentlich genauer die gemeinte Unterfirma für Bordbewirtung, vormals GATE GOURMET genannt, haben eine kleine Gruppe von Schweizern und ich als Dt. einer Horde von sieben GG-Schweizern gegenüber gesessen.
      Bei meinem technisch-physikalischen Vortrag zur einer bestimmten Konzeption zur Lösung eines dortigen Problems hatte man gesteigertes Interesse. Eine bestimmte Person hatte jedoch sichtlich gewisse Probleme, die hierbei beschriebene technische Konzeption so richtig zu begreifen, hatte aber dabei grundsätzlich ein sehr starkes Vertrauen in die vorgestellte Lösung. Für diesen Primaten also sichtlich ein ernstes Problem.

      Und hier ein phantastischer Vorgang: Wie vom Äffchen Jens W. in der Fotoreihe so schön dargestellt, hat auch diese gemeinte Person solch ein Ritual vollführt! Und das bei dieser damals höchstgelobten Firma, wobei sie sich selber auffuttern zu wollen schien, und das noch in einer lebensmittelverarbeitenden Firma!

      Hier ein kleiner ethnologischer Erklärungsversuch:
      Da bei den beiden Primatgruppen Affen und Menschen wohl nur etwa 1 bis max. 2 % genetischer Unterschied herrscht, ist bei der etwas oberhalb stehenden Gruppe der humanen Affen das Grundverhalten bei bestimmten elementaren Vorgängen nicht wesentlich anders als bei den uns verwandten hominiden Affen, die aber etwas unterhalb der evolutionären Scheidelinie nach Darwin stehen, zu erwarten.

      Der verunsicherte und etwas an mehr Verständnis, Zuneigung, Beachtung und Lieben haben wollende Affe wird seine Dienstleistung einer Fellpflege als Gabe der Unterwürfigkeit dem anderen Artgenossen anbieten. Hat er keine andere Gabe, wie Geschenke oder Futter, ist dieses lausen lassen ein willkommene und gerne angenommene Leistung. Der rangniedere Affe offeriert diese Leistung dem oberen Affen. Beim humanen Affen, also bei uns „Menschen“ wird so manch ein verunsicherte Affe / Mensch den Vortragenden als einen Oberaffen ansehen. Kann er ihm keine eigene Augenhöhe in Leistung, Wissen oder Macht / Stärke bieten, kommt m. E. es zu solch einer ersatzweisen Aktion als Ritual der „Selbskannibalisation“. Man bietet dem Ranghöheren in nonverbaler Form seine unbewusste Unterwürfigkeit an. Deshalb ist dies m. E. eigentlich für den Vortragenden oder Beobachter eine versteckte Anerbietung und Anerkennung des verunsicherten Affen.

      Man kann vergleichbare Vorgehensweisen bei frisch verliebten Paaren beobachten, wenn diese in der praeintimen Phase sich die Haare kraulen, sich in diesen wuseln, sogar die Kopfhaut genauer untersuchen, auch Ohren, Wangen usw. und als höchste Steigerung sich sogar gegenseitig die Pickel ausdrücken! So etwas verbindet. Nicht nur die Paare sondern auch uns Menschen mit den Affen, welche sogar die gefundenen Lästlinge des Gegenübers dann auch noch auffressen. Da wird doch der Spruch wahr: Liebe geht durch den Magen.

      So gesehen, kann die so beabsichtigte Beleidigung “Du Affe“ tatsächlich eine verwandtschaftliche Liebkosung sein.
      Genetisch und verhaltensartig bezüglich Deiner Frage gibt es keinen Unterschied zwischen helvetischen und teutonischen Affen.

      Fazit: Ein Mensch fällt nicht weit vom Affenbaum.

    4. Brenno Says:

      @AnFra

      Auf die Zoologie bzw. Ethologie wäre ich nicht gekommen, aber als Satire kann man Deinen Erklärungsversuch sicher durchgehen lassen. Er scheint mir konsistent zu sein und, wenn man ihn bis zum Schluss durchliest, politisch durchaus korrekt…

    5. AnFra Says:

      @Brenno

      Nur Satire??? Aber, aber. Das sind eindeutige, äußerst wert- uns ideologiefreie sowie bewiesene naturwissenschaftliche Erkenntnisse.

      Gratulation wg. der erkannten Ethologie zum Verständnis, aber hier meine klitzekleine Korrektur: Bei den Affen, unseren genetischen und verhaltensgleichen Vettern aus dem tropischen Dingsda, wurde in meiner Schreibe eindeutig die EthNologie zur Basis gelegt!

      Unterschätze den Affen nicht, denn der könnte ein Vetter sein.

    6. vered Says:

      „aus grauster Vorzeit“ ist das nun eine steigerung von „grau“ oder von „graus“? 🙂

    7. Void Says:

      OH GOTT ich musste grad ans „Pendeln“ denken. Es sind ja nicht die Penner, die da in hoher Frequenz aufzufinden sind. Nein, es sind Leute, die nach ihrer Arbeit nach Hause fahren möchten und nach der harten Arbeit endlich ihre Ruhe und in gewissen Massen, etwas Privatsphäre haben möchten.
      Ich erinnere mich da an den Businesstyp, der zwar nicht vis a vis von mir, aber dem Sitz neben mir sass und hemmungslos dem Goldgraben fröhnte. Ich sah ihn angewiedert an und lachte sogar ein wenig, er hörte jedoch nicht auf, er STRESSTE, damit er schneller abernten konnte.
      So Leute sind so eklig, dass sie schon wieder lustig sind, wo sie dann bei peinlich landen.

    8. Christian Ziegler Says:

      Die Züricher in Kellers Werken stammen vermutlich nicht von ihm selbst (obwohl Keller die deutsche Kultur sehr schätzte und damit auch die schweizerischen Ableger meinte). Praktisch alle Bücher Kellers erschienen in ihrem Erstausgaben in deutschen Verlagen und wurden auch in Deutschland gedruckt. Dort wurden die Manuskripte „verdeutscht“.
      Übrigens ging es Jeremias Gotthelf ähnlich. Die Erstausgabe von „Ueli der Knecht“ erschien 1846 im Verlag Julius Springer, Berlin. Das „schweizerische Hochdeutsch“ schien dem Verleger für die Leser nicht zumutbar. Die „echte“ Gotthelfsprache findet sich eigentlich erst in der während des Weltkriegs in der Schweiz veröffentlichten Gutenbergausgabe.