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Ist Tüpflischeissen eigentlich ein Schweizer Nationalsport?

(reload vom 26.04.07)

  • Schweizer Familien lesen Illustrierte
  • Neulich war ich auf dem Weg zu einem Interview mit einer grossen Schweizer Illustrierten, die auch von Familien gelesen wird. Ich fuhr mit dem Zug zum Treffpunkt am Zürcher Hauptbahnhof und las auf dem Weg einen Leserbrief, der einen Fehler des Tages-Anzeigers richtig stellte. Der Tagi hatte geschrieben, warum das Schweizer Nationalgetränk „Ovomaltine“ im englischen Sprachraum einen anderen Namen hat:

    Nach der Expansion ins Ausland merkte man, dass die vielsilbige O-vo-mal-tine nicht richtig ausgesprochen werden konnte. Das war nach 1913, als die erste Ovo-Fabrik in England in Betrieb ging. Deshalb heisst das Pulver im englischsprachigen Ausland und in Asien verkürzt Ovaltine (sprich: «Oveltain»).
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.03.07)

    Die Leserbriefschreiberin Marcia Schoenberg wies dann am 16.04.07 darauf hin, dass die Aussprache von „Ovaltine“ nicht „Oveltain“ sei, wie im Tagi beschrieben, sondern „Ovalteen“.

    Ich fand diesen Einwand bemerkenswert und äusserst löblich, denn gerade hatte ich darüber nachgedacht, ob es nicht einmal an der Zeit sei, ein eigenes Posting zum Thema „Tüpflischeisser“ zu schreiben. Nun, ich schob den Gedanken beiseite und ging zum Interview. Das Erste, was mir vorgelegt wurde, war ein Posting der Blogwiese, in dem ich „Schulpflegschaftspräsident“ mit einem „-schaft“ zu viel geschrieben hatte. Es heisst nämlich „Schulpflegepräsident“. Viel kürzer und knapper, als ich es je mit meiner Deutschen Weitschweifigkeit zu hoffen wagte. Nicht mal ein klitzekleines Fugen-S passt noch zwischen die „Schulpflege“ und dem „Präsidenten“.

    Ich freute mich, dass ich wieder etwas gelernt hatte und erfuhr kurz darauf noch, wie man „lisme“ richtig ausspricht, denn das hatte ich auch falsch artikuliert. Es ist mehr so ein „ä“ im Laut, also „läsme“.

    Dann erzählte ich der Journalistin — wie war ich bloss auf das Thema gekommen? — von der Idee mit dem Posting zum Thema „Tüpflischeisser“, und wie sehr ich mich gefragt hatte, ob diese Art von kleinkarierter Kritik und Korrektheit eigentlich etwas typisch Schweizerisches sei. Es ging dann irgendwie etwas unterkühlt weiter im Gespräch.

    Nun, das Wort „Tüpflischeisser“ ist bestimmt Schweizerisch, denn wir lernen aus dem Variantenwörterbuch:

    „Der bundesdeutsche Korinthenkacker ist bei den Österreichern ein Tüpferlreiter und den Schweizer Nachbarn ein Tüpflischeisser.“
    (Quelle: Pressemitteilung de Gruyter Verlag)

    Seltsamer Weise findet sich zwar ein „Korinthenkacker“ im Duden:

    Korinthenkacker, der (derb, abwertend): kleinlicher, pedantischer Mensch.
    (Quelle: duden.de)

    Die anderen beiden Varianten „Tüpferlreiter“ und „Tüpflischeisser“ jedoch nur bei de Gruyter.
    Noch einmal möchte ich betonen, wie sehr ich es wichtig finde, genau zu sein und alle Fehler korrekt zu bezeichnen. Auf der Blogwiese konnte so eine Menge verbessert werden. Das Wort „Tüpflischeisser“ ist übrigens bei Google-CH nur 65 Mal belegt. Wie oft das Standarddeutsche Wort „Korinthenkacker“ erwähnt wird, verschweige ich besser. Zu ihm weiss Wikipedia noch mehr:

    Während dieser Begriff hauptsächlich in der Bundesrepublik Deutschland Verwendung findet, betitelt man derartige Menschen in Österreich als I-Tüpferlreiter, in der Schweiz und in Südwestdeutschland auch als Tüpflischisser oder Dippelschisser. Synonyme für Korinthenkacker sind „Erbsenzähler“, „Kümmelspalter“, „Beckmesser“, in der Berliner Mundart „Krümelkacker“ und in der bayerischen „Gscheidhaferl“. Eine ähnliche Bedeutung hat auch „Haarspalter“, dabei wird allerdings (Über-)Genauigkeit betont, wohingegen rechthaberische Pedanterie allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt.
    Im Niederländischen hat das Wort eine andere Konnotation. Hier bedeutet die wörtliche Übersetzung, „Krentenkakker“, etwa so viel wie „Geizhals“
    (Quelle: Wikipedia Korinthenkacker)

  • Aussprache-Hinweise in IPA immer willkommen!
  • Darum auch für die Zukunft die Bitte: Wenn Sie einen Fehler sehen, bitte sofort melden. Vor allem wenn sie beim Lesen das Gefühl haben, ich würde ein Schweizerdeutsches Wort falsch aussprechen, bitte gleich die korrekte Aussprache zuschicken. Am besten in phonetische Schreibweise gemäss IPA, dem Internationalen Phonetischen Alphabet. Hier zur Erinnerung eine kleine Gedächtnisstütze, wie im IPA Vokale verschriftet werden.
    Phonetik IPA Vokale
    (Quelle Foto: Wikipedia)

    Warum haben eigentlich die Schweizer nicht längst diese Zeichen als allgemeingültige Schriftsprache eingeführt, damit endlich nicht mehr auf die lästige Fremdsprache Hochdeutsch zur Verschriftung des Schweizerischen ausgewichen werden muss. Alle Unklarheiten wären beseitigt, wenn die Kinder bereits in der Primarschule nur in IPA schreiben lernen würden, auf Schweizerdeutsch natürlich.

    

    6 Responses to “Ist Tüpflischeissen eigentlich ein Schweizer Nationalsport?”

    1. neuromat Says:

      Sport, nein Sport würde ich nicht gerade sagen. Und Schweizer National“eigenheit“, das glaube ich nicht. Mehr eine Sache des Charakters. Es gibt so zwanghafte Typen, die musst Du abfüttern mit bestimmten Angeboten, sonst sind diese Journalistinnen nicht zufrieden und gehen nach Hause, sich ihren Männern verweigern.

      Häufig spürt man das schon, dann ist das dieses Karma tiefster Kleingeistigkeit in der Runde. Die können dann gar nicht anders und mit kaum zu verbergender Freude kommt der Hinweis oder was auch sonst immer. Ja, und kann schon sein, dass in der Schweiz häufiger als andernorts, denn andernorts fährt solchen Genossen gleich ein „Klugscheisser“ rein.

      Darum heisst es in der Schweiz eben auch Tüpflischeisser. Der Tupf ist zum einen der Punkt und zum anderen der Stupf, der kleine leichte Stoss, den sich der verklemmte Zwanghafte im Klima der durch Ritual abgesicherten inhaltsloser Floskelkommunikation, gerne einmal traut. Und natürlich der Topf, auf welchen gesetzt, so lange gedrückt wird, bis der anal Charakter in Vollendung herangereift ist. Dabei hilft auch Ovalteen, nicht jedoch Oralqueen.

      Aber noch einmal, Nationalsport. Nein. Jahrelang habe ich Feldstudien in hiesigen öffentlichen Bedürfnisanstalten betrieben. Von punktgenauem – wie soll ich sagen – exkrementieren, also davon sind die hier doch genauso weit entfernt wie woanders. Links und rechts abschmierende Streifenbildungen, wohin das Auge sieht. Das hat natürlich auch etwas mit der Beschaffenheit des ins Ziel zu bringenden Gegenstandes zu tun. Dünn, dünn geht schon mal gar nicht und flüssig ist total unmöglich. Die Erfahrung hat gezeigt, wer punktgenau scheissen will, muss Korinthen kacken. Mit denen geht es noch am leichtesten.

    2. Werner Says:

      Der Korinthenkacker hat noch einen Bruder, den Millimeterpisser.

    3. AnFra Says:

      Das Tüpferlscheissen hat derzeit in Deutschland extreme Hochkonjunktur.

      Da wird dem smarten und gelglatten Selbstverteidigungsminister K-T von und zu Guttenberg, vulgo Felix Krull vom Mann, gerufener Schmalzlocke, gedachter Schmutzfink, realer Schmierer in haarsträubender Unterstellung und extrem tüpfelscheissig vorgehalten, seinen Doc-Comic als cand. „Doctorus der Plagiatrie“ (*) aus einer Abfalltonne gezaubert zu haben, in welche er nun sein Elaborat als Abort wieder zurück geworfen hat. In deutscher Tüpferlscheissermanie wird ihm Betrugs- und Plagiatsabsicht unterstellt. Dies fast schon mit tiefreligiöser Inbrunst.

      Und in dieser religiöser Inbrunst liegt hier m. E. die sinninhaltliche Quelle der Tüpferlscheisserei. Denn bei der neueren Übersetzung der in der hebräischen, aramäischen und griechischen Urschrift gehaltenen Bibel durch Dr. Martin Luther (echter Doc-Titel) und Ulrich Zwingli hat es Probleme gegeben, die althergebrachten Urtexte in eine verständliche neudeutsche Sprachart zu übertragen, welche sich auch noch sprachlich an den Urtext hält.
      Bei den hebräischen Schriften hat z. B. der Buchstabe „aleph“ in der Heiligen Schrift viele Beizeichen, welche z. B. als Punkte ausgeformt sind. Durch unterschiedliche Anzahl und Positionierung erhält dieser Buchstabe dann unterschiedliche Betonungen. Dies führt zum Problem, dieses als röm.-lat. „alpha“ und intern. „A,a“ zu schreibenden Buchstaben je nach der Positionierung der Beizeichen z. B. als „a, i, e, o“ und weiteren Varianten zu sprechen und dann noch in der lateinischen Buchstabenweise zu schreiben ist. Dadurch können althergebrachte Namen und Bezeichnungen vollkommen verändert werden. Das ist das Problem mit den Punkten.
      So kann sich der Streit zwischen den traditionellen Hohepriester des hebräischen Gotteswortes und der modernistischen Übersetzer in die deutsche Sprache erfolgt sein. Denn für die traditinellen Juden sprach Gott in Hebräisch, für die römischen Papisten natürlich nur in Latein und nun sollte er auch noch in diesem furchtbaren und barbarischen Deutsch zu dem Pöbel sprechen. Und dies auch noch mit teils falscher Buchstaben- und Sinnbedeutung. Für die alten Traditionalisten ist dies einfach unvorstellbar. Sie klebten am alten Text mit den Besonderheiten der alten Textstruktur. Der neue Aufbruch in die deutsche Übersetzung musste zwangsläufig in einer sprachlichen Vereinfachung erfolgen.

      Wie würde es Dr. Martin Luther a la Götz von Berlichingen wohl gesagt haben können:
      „Die traditionellen Ärscher solle sich nicht als Tüpferlscheisser an diesen unnötigen Punkten verbeißen! Kann denn Gott lesen?“

      (*) Bemerkung als Furznote:
      Es wird in fränkischen Landen geraunt, der K-T-Schmierer würde eine neue Doc-Arbeit vorbereiten. Hier der Titel:

      „Die christlich-demokratisch-soziale Flatulenz in ihrer entkrampfenden Bedeutung als natürliches Druckregularium und nachhaltiger Notablass von unkontrollierbar auftretenden Druckexpansionen bei aufopfernden Regierungsleistungen am deutschen Volk durch unverdauliche und toxische Vorgänge im Verdauungssystem des jetzig kaum verwertenden Regierungskörpers sowie der Untersuchung der nun dauernden irreparablen Schädigung des bisher gelegentlich disharmonisch funktionierenden Anusmuskels“
      oder in Kurzfassung: „Der Furz als Regierungssysmet“

      Dies klingt / tönt doch wissenschaftlicher als der bisherige Titel, der da vorgeschlagen war:
      „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull oder wie der Schmierer durch sein Gel tief auf die freche Klappe fiel“

    4. Brenno Says:

      Der Aufruf an die Bloggemeinde, falsch geschriebene Dialektwörter zu melden, ist löblich. Um bestimmen zu können, ob ein Dialektwort korrekt geschrieben ist, muss man jedoch unbedingt wissen, aus welchem Dialekt es stammt. In einem zusammenhängenden Text ist das normalerweise eher zu erkennen, als bei einzelnen Vokabeln; aber um jeden Irrtum auszuschliessen, müsste auch die Region angegeben werden, in welcher die betreffende Mundart gesprochen wird. Die Aussprache kann in manchem Fällen ausserdem vom Alter und der Gesellschaftsschicht abhängen, welcher der Sprecher oder die Sprecherin angehört.

      Regeln zu einer einheitlichen Schreibweise gibt es schon, nur hat sich keine der verschiedenen Sammlungen wirklich durchgesetzt. Manche Fachleute empfehlen die so genannte Dieth-Schreibung. Sie wurde speziell für die alemannischen Dialekte ausgearbeitet und ist angeblich leicht lernbar. Sie wird aber insbesondere im Kanton Bern nicht angewandt:

      http://als.wikipedia.org/wiki/Dieth-Schreibung

      Weitere Standardwerke sind der Sprachatlas der deutschen Schweiz:

      http://de.wikipedia.org/wiki/Sprachatlas_der_deutschen_Schweiz

      sowie das Schweizerische Idiotikon

      http://www.idiotikon.ch/Register/

      Auf die beiden ersten Werke wurde in diesem Blog bereits früher hingewiesen.

      Eines ist sicher: Die phonetische Schreibweise vereinfacht die Rechtschreibung nicht. Ganz im Gegenteil. Die Schüler dieses Landes können froh sein, dass sie diese nicht erlernen müssen.

      Das Problem ist übrigens nicht die Schreibweise, sondern der fehlende Einheitsdialekt. Er wird übrigens nicht vermisst, zumindest nicht von Eidgenossen. Wie problematisch der Versuch einer Vereinheitlichung sein kann, zeigt sich am Beispiel des Rumantsch Grischun, die von einem Zürcher Romanisten geschaffene Einheitssprache. Sie wird lange nicht von allen Romanischsprechenden Bündern akzeptiert, da viele von ihnen um den Fortbestand der fünf verschiedenen regionalen Idiome besorgt sind.

      Wer jetzt noch nicht genug hat, dem sei noch das folgende Buch empfohlen:

      Stalder, Franz Joseph: Die Landessprachen der Schweiz oder Schweizerische Dialektologie, mit kritischen Sprachbemerkungen beleuchtet: Nebst der Gleichnissrede von dem verlorenen Sohne in allen Schweizermundarten . – Aarau :[s. n.], 1819

      P. S. Es sind tatsächlich sämtliche Mundarten vertreten, nicht nur die deutschen. Angeblich insgesamt über zwanzig (!).

    5. Brun(o)egg Says:

      Vergesst es! Spätestens wenns um Baseldytsch geht ist jede Enzyklopädie erschossen.
      Fängt schon beim Doppel G statt K an. Setzt Y statt I, usw.
      Und wenns um die alteingesessenen Basler die vom Daig (Teig) geht: Da werden Spargeln zu Sparsen und die Finggen (Pantoffeln) zu Funken.

    6. Phipu Says:

      Hier noch die Kommentare des Originaleintrags.
      http://www.blogwiese.ch/archives/566#comment-75597
      Damals waren noch richtige Tüpflischiisser (-schisser, -schysser) am Schreiben. Die merkten noch, weshalb „Tüpflischeisser“ nur 65 Google-Fundstellen ergibt (seit den Blogwiesen-Nennungen sind es sicher ein paar mehr geworden). Noch nicht genannt wurde die konsequent schriftdeutsche Variante „Tüpfchenscheisser“. Dazu habe ich jetzt auch noch einen Eintrag bei Google ergänzt.

      Wenn ich es mir genau überlege, kann man auch „läsme“ tolerieren, obwohl es ja als „Wetten-dass-Absichtsfehler“ gedacht war. Im Raum Luzern sagt man schon „lesmä“. Und solange wir uns auf das lateinische Alphabet beschränken, kann ein Deutscher immer noch glauben, man würde wie in Deutschland ä gleich wie e aussprechen. Womit es dann wieder gar nicht mehr so furchtbar falsch tönt.
      Das zeigt auch, dass sogar unterschiedlich geschriebene Laute aus dem erweiterten lateinischen Alphabet nicht viel zur lautlichen Unterscheidung beitragen, wenn sie in (tonangebenden) Gebieten gleich ausgesprochen werden. Gerne hätte ich einem Experiment beigewohnt, bei dem ein Schweizer (aus dem Mittelland, in der Ostschweiz ist der Unterschied kaum vernehmlich) Primarschüler der Neuen Rechtscheibekommission den Unterschied zwischen „Gemse/Gämse“ und „aufwendig/aufwändig“ vorliest. Aber dieses Gremium kümmer(te)n sich nur um die Rechtschreibung und nicht um die Rechtsprechung.