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Sind Sie auch manchmal auf der Kurve? Oder finden Sie den Rank?

  • Die Affen auf der Kurve
  • Anfang September 2010 waren aus dem Plättli-Zoo in Frauenfeld sechs Berberaffen ausgebrochen. Zwei von Ihnen blieben verschwunden:

    Zwei der aus dem Zoo in Frauenfeld ausgebüxten Berberaffen befinden sich noch immer auf der Kurve. Der Zoo-Besitzer hofft, dass sie bald freiwillig ins Gehege zurückkehren.

    Affe auf der Kurve
    (Quelle: www.thurgauerzeitung.ch)

  • Ausgebüxt oder ausgebüchst?
  • Der Artikel enthält eine interessante sprachliche Mischung: „ausgebüxt“ oder „ausgebüchst“ verzeichnet unser Variantenwörterbuch eindeutig als „D-nord/mittel“, genau wie „stiften gehen“ als Grenzwert des Standards, oder anders ausgedrückt: Ein Teutonismus, der in der Schweiz eher gelesen als geschrieben wird. Die Österreicher sagen dazu auch „abpaschen“. So ein Norddeutsches Wort in der Thurgauer Zeitung?

    Aber richtig stutzig wurden wir denn erst bei der Kurve: „Die Berberaffen befinden sich noch immer auf der Kurve“, was wohl mit „auf der Flucht“ zu erklären ist, vom Kontext. Ist „auf der Kurve sein“ nun speziell Schweizerdeutsch, oder noch ein zweiter versteckter Teutonismus?

  • Kurve kriegen oder Rank finden?
  • Die Kurve, das ist in der Schweiz sonst der „Rank“, und während man in Deutschland versucht „die Kurve zu kriegen“, würde man sich in der Schweiz eher bemühen, den „Rank zu finden“. Aber „auf der Kurve sein“ für „frei sein“? In Nordost und mittewest Deutschland kennt man da noch die „Trebe“, auf der man sein kann, wenn man unterwegs und frei ist. Ein Trebegänger ist der Clochard, Stadtstreicher, Penner oder Tippelbruder.

    Sie merken, so ganz einfach ist das mit den Varianten nicht. Vielleicht ist ja „ausgebüxt“ schon längst kein Grenzfall mehr, sondern Standard geworden, und „auf der Kurve sein“ gibt es überhaupt nicht, sondern sollte eigentlich „hat die Kurve nicht gekriegt“ heissen. Dann doch lieber den Rank finden, oder den Rand halten.

    

    11 Responses to “Sind Sie auch manchmal auf der Kurve? Oder finden Sie den Rank?”

    1. Guggeere Says:

      Ja, ich empfinde beide Ausdrücke als Teutonismen. Bei «auf (der) Kurve sein» würde ich allerdings keinen Eid darauf ablegen. Zumindest dachte ich bisher, das stamme aus Deutschland. Der Ausdruck ist mir geläufig mit der Bedeutung «von zu Hause abhauen».
      Vielleicht arbeitet bei der Thurgauer Zeitung ein deutscher Journalist oder ein Schweizer, der von einer hohen Dosis Deutschland-deutscher Umgangssprache kalt erwischt wurde. Jedenfalls wollte da jemand zeigen, was für einen sauglatten, rasanten Sprachstil er drauf hat, wobei das Ergebnis eher nicht nach schweizerisch gefärbter Schriftsprache aussieht.

      Apropos «Rank finden»: Das erinnert mich an die hübsche Redensart «im fuule Rank sii» oder «in fuule Rank choo». Wer etwas falsch, ungeschickt oder zögerlich anpackt, ist bald «im fuule Rank» und kommt kaum noch voran.

    2. Administrator Says:

      Phipu, wo bleibt dein ausführliche Analyse? Oder bist du aus dem Rank geflogen?

      Gruss, Admin

    3. Brenno Says:

      Falls es sich doch nicht um einen Teutonismus handelt, ist „auf der Kurve“ durch die Übertragung von uf de(r) Kurve“ ins Schriftdeutsche entstanden. Möglicherweise stammt der Ausdruck von irgend einem Szenejargon oder auch bloss von der Umgangssprache der Jugend. Darauf scheinen wenigstens die beiden Songtitel „Kids uf der Kurve“ des Rappers Semantik und „Uf de Kurve“ von Werner Widmer hinzudeuten. Er könnte in Anlehnung an die älteren, sinnverwandten Wendungen „uf d’Walz ga / uf der Walz si“ und „uf d’Schwanz ga / „uf der Schwanz si“ entstanden sein. Ein Einfluss der Gaunersprache oder der Sprache der Fahrenden kann vielleicht auch nicht ausgeschlossen werden.

      Apropos ausgebüxt: Diesen Ausdruck habe ich in letzer Zeit schon oft in Schweizer Publikationen gelesen. Er macht sich ebenso breit in unserem Land wie z. B. die vor nicht allzu langer Zeit völlig unbekannten Wörter „Schnäppchen“ und „Tschüss“. Die Abwehrhaltung vieler Schweizer gegenüber Deutschland war schon immer viel löchriger als manche meinen. Das kann man natürlich auch positiv sehen, obwohl es, wie in diesem Falle,um Nachahmung oder Nachplappern geht.

    4. Phipu Says:

      Hier müsst ihr auf meine ausführliche Analyse verzichten. Denn ich kannte „auf der Kurve sein“ nicht. Auch meine hochstehenden wissenschaftlichen Referenzwerke von Prof. Dr. Google der Universität Wikipedien bringen nicht den Aufschluss, den ich mir erhofft hatte. Mit der Überlegung, es sei vielleicht Jargon, ein Regionalismus oder ein der Mode unterworfener Ausdruck folge ich Brennos Argumentation.

      Die Verwässerung der Schweizer Eigenheiten des Schriftdeutschen fällt heute besonders in der Presse gar nicht mehr besonders auf. Tatsächlich ist „die Kurve kriegen“ und „ausbüchsen/ausbüxen“ eigentlich Deutschlanddeutsch, aber geschrieben stört es hier schon lange nicht mehr. Auch „Lkw“ (das hingegen in der ausgeschriebenen Variante immer noch „Lastwagen“ ohne „Kraft“ geblieben ist) hat sich eingebürgert. Wieso eigentlich nicht „Lw“ und „Pw“? Im Dialekt eingeflochtene Teutonismen bereiten mir die viel deutlichere Hühnerhaut (oder meinetwegen solche von Gänsen). Alles schon gehört:
      – d’Schnüersänku iifädle
      – de muesch is Chrankehuus
      – viu meh Männer as Froue
      – Wiehnachtsmaa
      – Schnäpplipriise

      Kennen alle die richtigen Lösungen bei diesen Beispielen? Wenn nicht, dann Gratulation an RTL, Pro7, Sat1 und Co! Wenn sich dann mal in apokalyptisch schwarzer Zukunft „Huebschruuber“ und „Schorschteifääger“ durchgesetzt hat, fehlen den Hardcore-Koservierern dann gänzlich alle Argumente, Schweizerdeutsch als eigene Sprache zu bezeichnen.

    5. Guggeere Says:

      @ Phipu
      Ich leide mit. Wenn ich einen Mundart-Jemand «Männer» sagen höre, tuts mir schon körperlich weh. Ein paar weitere Exemplare fürs Gruselkabinett:
      – nackt
      – Kaulquappe
      – Schaukelpferd
      – Heuschrecke
      – kneife
      – Stars (Vögel)
      Wo wird das bloss enden! Ich wohne in einer Gebirgsgegend und bange dem vielleicht nicht mehr so fernen Tag entgegen, an dem mich ein Mittelland-Agglo-Alemanne «wo düre gaats da uf d Alm» fragt. Dann, so fürchte ich, kann ich für nichts garantieren… 🙁

    6. neuromat Says:

      @ Phipu und @ Guggeere

      damit müsst Ihr leben. Ich finde Huebschruuber würde sich vor allem für den Walliser Dialekt eignen. Und was bitte ist denn ein Helicopter?

      Zudem fordere ich gleiches Recht für alle. Dürfen die Schweizer die deutsche Sprache verändern und mit Varianten versehen; Satzzeichen und Buchstaben ab- oder ausschaffen, dann sollte uns das gleiche Recht zugestanden werden. 😉

    7. Phipu Says:

      An Neuromat

      Halt! An dieser Stelle muss ich mich für die historischste Variante des Sammelbegriffs Schweizerdeutsch, den Walliserdialekt (den ich fast schon fliessend verstehe) wehren. Dieser Dialekt ist nicht einfach „e Müueimer“ für alle „üblischte“ Ausdrücke, die Alemannen „uf e Chäks göh“. Sicher ist auch dieser Dialekt der Sprachentwicklung sowie den Einflüssen moderner Verkehrswege und Kommunikationsmittel unterworfen. Aber deine gewünschte sprachliche Infiltration muss schon eine Stufe subtiler geschehen. Wenn du also so sehr das buchstabenlzahlreichere Wort für Helikopter (auf Deutsch übrigens mit k) den Wallisern aufzwingen willst, versuch es eher mit „Hüebschrüüber“, was eher der Lautverschiebung Hochdeutsch-Walliserdialekt entspricht (Bestätigung indemischer Sprecher erbeten). Aber dafür musst du es selber mit wiederholter persönlicher Anstrengung in die Region tragen. (Hauptsponsor meines Beitrags: Wallis Tourimus).

      Tatsächlich möchte ich auch gern mit den gleichen Rechten leben. Aber die Spiesse ( http://www.blogwiese.ch/archives/101 ) sind eben beim Wörterexport (ich spreche nicht von „Ausschaffung“, da die Wörter und Buchstaben gleichzeitig hierbleiben sollen, das ist halt nicht wie bei den bösen Kriminellen) nicht gleich lang. Bisher habe ich erst ein einziges Mal in einer deutschen Zeitschrift „allfällige“ gelesen. Und von Deutschen ohne Schweizhintergrund gesprochen werde ich es wohl nicht vor meiner Pensionierung hören. Noch exotischere Wendungen und Wörtern sind sowieso besonders hoffnungslos.

    8. Guggeere Says:

      @ neuromat
      Ich soll mit hässlichen Sprachimporten wie «Weberchnecht», «Urlaub» und «zerdeppere» (Letzteres habe ich tatsächlich mal von einem Zürcher gehört) leben? In meiner schönen Mundart? Und das aus Rache dafür, dass wir andere Anführungszeichen drucken und den überflüssigsten aller denkbaren Buchstaben an die Grenze gestellt haben? Häsch en tote Vogel im Schue?

    9. neuromat Says:

      Zugegeben, welch grausames Martyrium Worte wie „Urlaub“ erdulden zu müssen. Lässt sich doch auch mit noch so viel Bemühen nicht der gleiche süffisante Vorwurf in die Betonung hämmern: „Schöööniii Fääähriiienn“. Dann, wenn die Neidgenossenschaft wieder zum Grusse anhebt.

      Nur die Ferien, die gibt es in der Schule oder in den Betrieben. Ursprünglich hiessen die feriae auch einmal fesiae, es waren die „Feiertage“ und die „Feste“, frei von den profanen Beschäftigungen des Alltags.

      Urlaub liesse sich noch als mögliche Aktivität in den Ferien verstehen. Es ist jedoch eine alte Nominalbildung zu „erlauben“, spezialisiert auf Erlaubnis, sich zu entfernen“, neuzeitlich einer zeitweiligen Freistellung vom Dienst oder der Arbeit entsprechend. In diesem Sinne kann jemand auch beurlaubt werden.

      Und nun dabei der eigentliche Punkt. Für die allermeisten, auch für die allermeisten Schweizer dürfte der Urlaub zutreffend sein, für welchen die Erlaubnis eingeholt wird. Zu denen gehörend, die solche erteilen, nehme ich für mich jedoch Ferien in Anspruch, da ich mir selbst keine Bewilligungen auszustellen pflege.

      Sprachimporte als hässliche Fremdworte zu empfinden ist eine bekannte deutsche Eigenschaft von Sprachpuristen. Philipp von Zesen war einer von ihnen. Nicht selten scheiterten sie erfolglos. Pistole wurde nicht zum Meuchelpuffer, Amor nicht zum Lustkind und Harem nicht zum Weiberhof, ja selbst die Ironie blieb Ironie und wurde nicht um Schalksernst. Den Dialekt erwischte es, er wurde zur Mundart.

      So heisst es nun anzutreten, wo es um Worte geht wie

      Netzwerk = Garnwärch
      Schnittstelle = schnäfelblätz
      Workstation = wöoukschdäschn

      Ja, ja die Spiesse sind nicht gleich lang. Das ganze Leben so schön sprachlich militarisiert. Nur wie sollen die denn auch gleich lang sein? Wer seine Medien international kastriert, der tritt halt mit Pfeil und Bogen an, wenn die Verdummungskanonen sat machen und die Leute mit dem zweiten dann besser sehen. Wer sich als David kultiviert, sollte dann wenigstens seine Steinschleuder trefflich nutzen.

      Die gleichlangen Spiesse zu fordern ist recht. Die Einwanderer sollen sich anpassen, ist allenthalben zu hören, die Heimat soll am besten vergessen werden. Die Auswanderer hingegen sollen auch im Ausland Schweizer bleiben, das Heimatgefühl wird gezielt gestärkt.

      Amüsiert hat mich noch die oktroyierte Länge eines Wortes, welches nun wirklich zum Walliser Dialekt passen würde, wie kein zweites, sehe man doch die drehflügelnde Alouette lautmalerisch vor einem in die Lüfte schweben. Hingegen bedarf es für den schweizerischen Helikopter (bei uns gibt es den Eurocopter, den Quadrocopter und andere) schon definitiv Griechischkenntnisse.

      Diese haben jetzt wahrscheinlich wieder alle, sprechen sie doch griechisch und vor allem Altgriechisch besser als Deutsch. Merkwürdig also, dass von in den letzten Tagen mehr als 100 Befragten keiner wusste, was dieses Wort bedeutet.

      Aber noch zur „Wortlänge“. Dies erinnerte mich an eine Stelle aus dem Büchlein von Dieter Moor. Er bechreibt, wie er, der kleine Schweizer, sich an den Gartenarbeit macht ….

    10. pfuus Says:

      @ Phipu & Guggeere

      Mich würde die Befindlichkeit eurer Haut interessieren, wenn ihr folgendes hört:

      „Sie (die Börsianer) chönnt nümm träidä“

    11. Gonzo Says:

      …ich kratze dann mal die Kurve.