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Ist es für Sie OK wenn ich Hochdeutsch spreche? — Stört es Sie, wenn ich Schweizerdeutsch zuhöre?

(reload vom 17.3.07)

  • Am Anfang fragten noch alle
  • Als wir vor 9 Jahren in die Schweiz kamen, wurden ich noch oft gefragt: „Verstehen Sie Schweizerdeutsch, oder soll ich Hochdeutsch sprechen?“ Worauf ich dann meist nach zwei Minuten mit der Frage: „Verstehen Sie Hochdeutsch, oder soll ich Schweizerdeutsch sprechen?“ konterte. Das war natürlich als Scherz gemeint, da ich Schweizerdeutsch erst nach dem dritten Glas Wein spreche. Dafür dürfen Sie dann auch wählen zwischen Bärndütsch oder Züridütsch. Ab dem vierten Glas Wein käme dann noch Walliserdütsch hinzu.

    Nüchtern hingegen entgegne ich: „Verstehen Sie Hochdeutsch, oder soll ich Schweizerdeutsch zuhören?“, denn das kann ich inzwischen fliessend.

    Es ist immer das gleich Problem in der Schweizer-Deutschen Kommunikation, vor dem die Deutschschweizer stehen, die mit ihrer perfekten Diglossie (Zweisprachigkeit) zwischen der Standardsprache und ihrer Variante des Hoch- oder Höchstalemannisch wechseln können.

  • Obacht vor den zweisprachigen Deutschen!
  • Es gibt zwar eine wachsende Zahl von Deutschen, die ebenfalls zweisprachig geworden sind und Schweizerdeutsch sprechen, aber es muss schon ein ziemlicher Zufall sein, an einen solchen zu geraten. Die meisten Vertreter dieser seltenen Spezies tarnen sich so geschickt, dass sie von den Schweizer nicht mehr als „Dütsche“ wahrgenommen werden. Der Schockeffekt ist um so grösser, wenn sich plötzlich einer outen und in einer Diskussion bekennen: „Auch ich bin ein Deutscher!

  • Dann fragte irgendwann niemand mehr
  • Nach einer Weile hörte das auf mit der Fragerei, ob wir Schweizerdeutsch verstehen. Als klar war, dass wir hier auf Dauer leben und zum Bruttosozialprodukt beitragen, und keine Manager mit Geldkoffer auf Kurzbesuch sind, die hier nur ein Rendezvous mit ihrem Kundenberater haben (siehe hier: „Schwarzgeld verstecken in der Schweiz“), sprach man mit uns nur noch Schweizerdeutsch. Ungefragt. Und wir hörten zu und verstanden alles, oder jedenfalls fast alles. Täglich ein kleines bisschen mehr. Es ist lernbar, und höllisch interessant obendrein.

  • Als Tourist wird man nie gefragt
  • Als wir dann im Sommer die Schweiz per Velo durchquerten, da schien uns jemand mit einem dicken Stempel den Schriftzug „ACHTUNG: TOURISTEN AUS DEUTSCHLAND“ auf die Stirn gedrückt zu haben, denn plötzlich sprachen alle, egal wo wir hinkamen, ausschliesslich Hochdeutsch mit uns. „Das sind Touristen, da machen wir keine Umstände, die müssen bei Laune gehalten werden, damit sie wiederkommen“. Und was hält Touristen mehr bei Laune als ein zünftiges Schweizer Hochdeutsch à la Emil Steinberger, den sie doch alle so gut kennen?

    Hundertausend Mal haben wir diese Anekdote erzählt bekommen: „Und dann sagt der Deutsche zu mir: Ihr Schweizerdeutsch verstehe ich sehr gut! Und ich sag zu ihm: Aber ich habe doch nur in meinem besten Hochdeutsch mit Ihnen gesprochen!“ Es ist keine Anekdote, es ist brutal erlebter sprachlicher Alltag zwischen Deutschen und Schweizern in der Schweiz.

  • Sprechen Sie ruhig Schweizerdeutsch mit mir
  • Das sagen viele Deutsche, die Schweizerdeutsch gut verstehen oder es verstehen lernen wollen. Sie schaffen damit eine gewisse Gelöstheit bei ihrem Schweizer Gegenüber. Endlich fällt das förmliche „Korrektsprech“ von ihm ab, und er kann schnurren wie ihm der Schnabel gewachsen ist wie es aus dem „Muul“ kommt, und braucht dabei keine Angst zu haben sich zu blamieren. Gleichzeitig wird ihm die Chance genommen, ein lockeres Alltags-Standarddeutsch zu pflegen und zu üben. Also rostet es ein und verkommt zur holprigen Sprache „für den besonderen Anlass“, z. B. bei Interviews fürs Fernsehen. So antworten beim Schweizer Fernsehen in der Sendung 10 vor 10 viele Befragte konsequent auf Hochdeutsch, auch wenn der Moderator auf Schweizerdeutsch fragt. Im Fernsehen, da gehört sich eben Hochdeutsch, damit die Welschen und Tessiner auch was verstehen. Doch die gucken gar nicht zu, aber vielleicht dafür die 20% Ausländer im Land mit Hochdeutschkenntnissen.

  • Wenn die nur Hochdeutsch mit mir sprechen bin ich nicht integriert
  • Das ist der zweite Grund, warum Deutsche gern auf Schweizerdeutsch angesprochen werden. Man fühlt sich sprachlich anerkannt, der Schweizer traut einem das Hörverständnis und das Wissen über das spezielle Vokabular zu. Klasse Form der Integration. Selber sprechen dauert etwas länger, aber solange ich nicht den Mund auf mache, erkennt mich hier niemand, weil ich alles verstehe. Vogel-Strauss-Taktik sozusagen. Augen zu und Kopf in den Sand, in den Schweizersand. Und schon bin ich unsichtbar.

  • Kompliziert wird es im Geschäftsleben zwischen Schweizern und Deutschen
  • Es schrieb uns dazu eine Schweizerin:

    Wenn ich nur flüchtig mit Kunden zu tun habe (die ich nicht alle fragen kann, ob sie Schweizerdeutsch verstehen): kann es als unhöflich angesehen werden, wenn ich Schweizerdeutsch spreche? Dieses Gefühl hab ich manchmal. Aber wenn ich auf Standarddeutsch antworte, scheine ich oft belächelt zu werden, im Sinne von “Och, die denkt, wir verstehen nicht…”. Andererseits denke ich, dass es wahrscheinlich einige Deutsche gibt, die lieber auf Schweizerdeutsch bedient werden, weil das andere immer ihren “anders-sein-Status” impliziert.
    (Quelle: Private E-Mail)

    Manchmal möchte ich mein Schweizer Gesprächspartner ermutigen: „Trainieren Sie doch einfach mit mir Ihr Hochdeutsch, ich werden dann später gern mit Schweizerdeutsches Hörverstehen mit Ihnen trainieren“… Ein Angebot zum Tandem-Lernen, jeder profitiert vom anderen. Denn eins muss ganz klar gesagt werden: Ich habe noch keinen Schweizer getroffen, der kein Hochdeutsch sprach. Für eine Verständigung hat es immer gelangt, und ich wundere mich immer, warum die meisten mit diesen Sprachtalenten so schüchtern durchs Leben laufen und das nie pflegen und ausbauen wollen. Das ist dann wieder der Moment in dem ich eine Wut bekomme auf die vermutlich schlechten Lehrer, die den Schweizern den Spass und das Interesse an ihrer zweiten Muttersprache so gründlich ausgetrieben haben mochten.

    Ich wünschte, mein Italienisch, Spanisch oder besser noch „mein Schweizerdeutsch“ sei nur annähernd so gut wie das Standarddeutsch der meisten Schweizer.

  • Was fragt man als Schweizer am besten einen unbekannten Deutschen?
  • Nun, wir hätten da einen Vorschlag zur Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses zwischen Schweizern und Deutschen. Wenn Sie es offensichtlich mit einem Deutschen zu tun haben, von dem Sie nicht wissen, ob er Schweizerdeutsch versteht, dann fragen Sie doch einfach so:
    „Macht es Ihnen was aus, wenn ich mit Ihnen mein Standarddeutsch trainiere, oder möchte Sie ihrerseits lieber ihr Schweizerdeutsch verbessern?“ Zu kompliziert? Vielleicht… aber ein bisschen träumen wird doch erlaubt sein.

    

    11 Responses to “Ist es für Sie OK wenn ich Hochdeutsch spreche? — Stört es Sie, wenn ich Schweizerdeutsch zuhöre?”

    1. Thomas Says:

      da kann ich nicht ganz so zustimmen…
      Wenn ich dein Blog richtig gelesen haben , kommst du aus dem Sueddeutschen Raum und bist damit dem Allemannischen Dialekt (und damit dem Schweizer) sehr nahe. Das „umlernen“ auf einen anderen Sueddeutschen Dialekt ist da wesentlich einfacher.
      Wenn man selber aus dem Norden kommt ist Schweizerdeutsch wirklich unverstaendlich (ich hatte zu Studienzeiten schon Probleme mit den Franken).
      Ja, wir sind die Leute fuer die die Untertitel bei RTL & Co sind, wenn ein Oesterreicher Interviewed wird!
      Von daher fand ich die Frage „Hochdeutsch oder Schweizerdeutsch?“ sehr hoeflich und ein direktes losplappern im staerksten Dialekt eher schwierig (soll ick up platt antwoorden ?)

      Nach 1.5 Jahren hier in der Schweiz geht es langsam und ich antworte auf die Frage inzwischen „bitte auf Schweizerdeutsch – ich muss ja irgentwie lernen“. Hoeflich ist es aber trotzdem – als „eingewanderter“ (nicht Tourist) Deutscher um Hochdeutsch zu bitten ist wesentlich schwieriger…

    2. Archer Says:

      Völlig egal. Auf Mallorza spricht man Deutsch. Das tun auch die Schweizer. Und in Calla Michor und Calla Rattata auch.

    3. R.Elies Says:

      Das Beste seit langem im Schweizer Fernsehen war vor einigen Wochen ein Interview eines Schweizer Reporters (weiss nicht mehr, wer) mit Ottmar Hitzfeld, in dem der Reporter konsequent in wirklich einwandfreiem Hochdeutsch fragte und Ottmar Hitzfeld ebenso konsequent in seinem Quasi-Schweizerdeutsch antwortete.
      Vielleicht ist es ja die ultimative Form der Höflichkeit, wenn jeder in einer „Fremdsprache“ spricht, seltsam mutete es aber schon an.

    4. Brun(o)egg Says:

      @ R.Elies

      Der Hitzfeldsprech war kein Quasi Schweizerdeutsch. Lörracher sprechen so, gell.

    5. pfuus Says:

      @R.Elies

      Hitzfeld spricht noch einen Rest von dem Dialekt, der in manchen umliegenden Dörfern, bzw. im Markgräflerland z.T noch vollständig zu hören ist. BSler, BLer und die GrenzAG-ler würden die feinen Unterschiede rasch erkennen,Zentralschweizer ihn leicht als BS bzw. BL Dialekt einordnen.

      1-2 Gedichte von Johann Peter Hebel und Sie haben eine Vorstellung davon, wie es in Lörrach emol tönt het.

    6. Brun(o)egg Says:

      @ Pfuus

      „Lueg Mietterli was isch im Mond?
      He gsehsch denn nit e Ma.
      Jo wägerli i gsehn en scho. Er hett Tschöppli a.

      usw. von J.P. Hebel und Erinnerungen an die Schulzeit in Riehen.

    7. medienkommentar Says:

      Hätt ich diesen Artikel doch nur ein halbes Jahr früher zu lesen bekommen. An meinem Arbeitsplatz hab ich mit einigen Deutschen zu tun. Inzwischen weiss ich, dass die alle problemlos Schweizerdeutsch verstehen, mein „Umschalt-Reflex“ (Hochdeutsch antworten, wenn jemand hochdeutsch spricht) schlägt nur noch selten zu und sorgt dann jeweils für Lacher. Offenbar wurde ich in der Schule gut konditioniert…

    8. Smilla Says:

      Mir fliegt nach vier Jahren in der Eidgenossenschaft immer häufiger dieser Satz um die Ohren: „Oh sorry, du verstehst ja Züridütsch, ich rede aus Versehen immer Hochdeutsch mit dir.“

    9. Flaneuer Says:

      Es kann noch „komplizierter“ sein. Auch wenn man nicht für das Fernsehen sendet… 😉

      Wir haben in der Firma auch einen neuen jungen Lehrling, Schweizer. Verwirrenderweise ist es nun oft so, dass er – der Schweizer – oft Standarddeutsch mit mir spricht; während ich – der Deutsche – ihm „schweizerdeutsch“ antworte. Wir benutzen also beide das, was wir weniger gut können.

      Und das, obwohl wir beide weit von „perfekter“ Aussprache entfernt sind. Sein Standarddeutsch ist doch recht schweizerdeutsch prononciert. Verständlich, sind seine beiden Eltern doch nicht deutscher Muttersprache. Insofern wird er seine diglossischen Lernkapazitäten vermutlich mehr auf die Sprache(n) seiner Eltern als auf Standarddeutsch legen… Und mein „Schweizerdeutsch“ sollte eigentlich auch noch als deutlich allochthon zu identifizieren sein (wobei doch einige meine Herkunft amüsanterweise nicht mal im deutschen Sprachraum verorten würden. Aber das ist ein anderes Thema).

      Trotzdem habe ich grundsätzlich den Eindruck, als ob man eher „erntet, was man sät“.

      Je näher man am „Schweizerdeutsch dran“ ist (man es also selbst zu sprechen versucht, oder vielleicht einen süddeutschen öder österreichischen Dialekt spricht), desto eher wird in Dialekt geantwortet. Je weiter man davon entfernt ist (prononcierte Standardsprache oder nord-/westdeutscher Akzent), desto eher wird man Antwort in Standardsprache erhalten.

      Auf der anderen Seite: Je länger und intensiver man bestimmte Leute kennt, desto schwieriger wird ein Wechsel in der Umgangssprache, denke ich. Es käme mir jedenfalls sehr „merkwürdig“ vor, die Umgangssprache mit Kollegen auf einmal zu „wechseln“.

    10. pfuus Says:

      @Brun(o)egg

      jedis wort
      isch a froog
      alles
      isch a froog
      vom wort

      M.M.Jung

    11. neuromat Says:

      Ganz einfach. Mal folgendes Experiment machen:

      Ihr lasst Euch konsequent auf Englisch (ginge natürlich auch mit Französisch oder Italienisch oder Spanisch sofern man es denn ausreichend sicher kann) fragen.

      Eure Aufgabe: Schnell antworten, aber Hoch-Deutsch oder Dialekt. Es dürfen kaum Pausen entstehen.

      Die meisten dürfen merken, dass sie zumindest kurz davor stehen auf Englisch zu switchen oder sprechen es gleich.