Treten Sie auch manchmal an Ort? — Neue Schweizer Lieblingswörter
Was lasen wir da gestern Abend im Blick am Abend über Merz?
„Bundespräsident März tritt an Ort.“
Nein, er tritt nicht zurück, er tritt auch kein kaltes Wasser bei einer Kneipkur, sondern er „tritt an Ort“, einfach nur an Ort. „… und Stelle“, wollen wir ihm zurufen, aber „tritt am Ort“ ist so präzise kurz und schweizerisch, das kann man nicht verschönern.
(Auch wer Wasser tritt, tritt dies am Ort)
Es finden sich zahlreich weitere Belege dafür bei Google.ch:
«Der Bildungsdirektor tritt an Ort»
(Quelle: bazonline.ch)
Oder die Cablecom:
Cablecom, gemanaged von CEO Rudolf Fischer, tritt an Ort und wächst langsamer als die Konkurrenz.
(Quelle: handelszeitung.ch)
Sogar eine Fachfrau für Texte, Barbara Lukesch, schrieb in der Weltwoche 13/1999:
Das ist ein Teufelskreis, und wer nicht ausbricht, tritt an Ort.
(Quelle: lukesch.ch)
Wie umständlich müsste man das in Deutschland ausdrücken: „Er tritt auf der Stelle“. 4’140 Fundstellen bei Google.ch, und wir lernen: „Wer heute nicht beweglich ist, der tritt an Ort“.
In der Schweiz tritt häufig mal jemand „an Ort“, ganz ohne Stelle, das müssen wir erkennen. Ort ist kürzer als Stelle, nur 3 statt 6 Buchstaben. Das passt schon. In Deutschland findet sich das nur kümmerliche 4 Mal bei Google.de
Gibt es etwas Praktischeres als diese super kurzen Schweizerausdrücke? Ab sofort treten wir in Zukunft nicht mehr umständlich auf der Stelle, sondern nur noch „an Ort“. Versprochen.
November 4th, 2009 at 15:19
Hm, bei der drohenden Zunahme der Firmenpleiten wird so mancher kurz oder längerfristig ohne Stelle an Ort treten.
Zynisch? Mitnichten. Auch in schwierigen Zeiten soll man nie den Humor verlieren.
So hoffen wir denn auch, dass die Ausbildungsverantwortlichen unserer Tochter bei der Suche für einen neuen Lehrstellenplatz nicht nur an Ort treten.
November 4th, 2009 at 19:47
Der Jens, der hat z. Z. eine feine Spürnase für arabeske Themen. Nach dem Schweizersein, dem Placebo nun auch noch auf die Thematik auf dem Ort oder der Stelle treten! Die Aussage „tritt am Ort“ ist jedoch m. E. nix präzise! Die mögliche Lösung folgt an Ort und Stelle.
Da die Terminologie der Psychologie anscheinend aus der Geologie abgeleitet wurde, müssen wir dem alten Geowissenschaftler Sigi Freud in die tieferen Schichtungen, Verwerfungen, Überlagerungen und Klüftungen im geologischen Untergrund der Schweiz folgen. Denn unter Tage findet man die beste Lösung zum Begreifen von „Ort und Stelle“.
Zuvor noch ein kleiner Hinweis, das der Begriff „Ort“ für z. B. für das Ende einer Dachfläche, auch „Ortgang“ genannt, lautet. Hier kann der Begriff „Ort“ wunderbar abgeleitet werden. Dieser Ortgang als althergebrachte Bezeichnung bedeutet, hier ist eine Dachfläche beendet, da es einen Abbruch, Kante, Schneide usw. gibt. Also ist dies der Ort (Dachende, Kante) mit einem Gang (Strecke, Bauteil) welcher eine bestimmte Länge hat. Die Dachfläche wird durch den First, die Traufe und den besagten Ortgang begrenzt.
Denn der „Ort“ ist das Ende einer Bewirkungsfläche oder eines Nutzvolumens, an deren Ende eine Veränderung durch eine Kante, Grat, aufsteigende Fläche oder beendete / geänderte Nutzung stattfindet.
Im Bergbau ist das Arbeiten am grünen Gestein die Arbeit „vor Ort“, denn hier ist das Ende des bisherigen Nutzvolumens. Dieser „Ort“ wird durch „Stellen“ (Streben, Stützen, Steher, Kämpfer uam natürlicher oder künstlicher Art) gesichert.
Der besagte „Ort“ ist meist eine Kante o. ä. mit einer gewissen Länge und die „Stelle“ ist ein genau bestimmter und fixierter Teil an einem Punkt, welcher das Gebirge stützt, trägt und den Gebirgsdruck ableitet. Der „Ort“ besitzt ein Länge (z. B. die lichte Breite des Schachtes), wobei eine genaue Fixierung auf einen „Standpunkt“ hier nicht möglich ist, da es auf dieser Länge unendlich viele Standpunkte geben kann.
Dagegen hat die „Stelle“ jedoch einen ganz bestimmten und eindeutigen „Standpunkt“. Da sie keine bestimmte Länge hat, aber einen Punkt, ist sie deshalb eindeutig und genau bestimmbar.
Wenn im (groß)-deutschen Sprachraum von der „Stelle“ gesprochen wird, erscheint oft in einigen Hirnen ein nibelungisch-germanisches Festhalten an dem einmal festgelegten „Standpunkt“. Wenn´s sein muss, bis in den Tod hinein, denn man hat sich für diesen Standpunkt (unverrückbar) entschieden. (Beispiele: Die Nibelungen. Das sache mit dem Onkel Wolf uam).
Was im schweizer-deutschen Sprachraum mit dem „Ort“ tatsächlich gemeint sein könnte, ist oft für die Nachbarn und für einige Schweizer selbst, nicht immer leicht deutbar, denn es kann eine große Anzahl von „Standpunkten“ auf der entsprechenden Linie geben. Manchmal kann man auf diesem Ort die vielen Schweizerstandpunkte nicht eindeutig erkennen, auch so ein Problem des inflationär gebrauchten Wort „Wettbewerb“.
Zur Verständlichkeit dieser Situation sollte beachtet werden: Ab ca. dem 16./17. JH hat sich das Deutsch im HRR weiterentwickelt und die Eidgenossen haben die noch damals gesamtdeutschen Sinninhalte beharrend und wenig flexibel beibehalten.
So ergibt dieser gesamtheitliche deutsche Sinnspruch „an Ort und Stelle“ einen kleinen Einblick in die different-indifferenten Standpunkte der beiden sich doch meist lieben Nachbarn.
November 6th, 2009 at 20:04
Hm. Scheint mir beides unvollständig. Es heißt doch schlicht und ergreifend „An Ort und Stelle“. ^^
In was für einem batzigen Odel treten die denn da eigentlich rum? Schaut ja eklig aus.
November 6th, 2009 at 20:16
PS: wenn man dann mal rausfinden (oder „herausfinden“) will was denn reinstes Hochdeutsch wäre – auch und gerade bei der Aussprache – darf man weder in die Schweiz noch nach „Deutschland“ schauen. Sondern nach Österreich, besser gesagt Wien. Letztere ist nicht nur meiner Meinung nach die mit weitem Abstand mondänste Stadt im gesamten deutschen Sprachraum (exgüsi Schweizer, sorry Doitsche) sondern dort wird – zumindest unter Bildungsbürgern – das reinste und feinste Hochdeutsch gepflegt. In einem Wiener Kaffeehaus Gespräche zu belauschen ist nicht zuletzt deswegen sehr interessant ^^