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Zwei Wochen lang Schulsilvester — Der 17. Mai in Oslo

  • Ein Nationalfeiertag ganz ohne Feuerwerk
  • Am vergangenen Sonntag, dem 17. Mai, feierte Norwegen seinen Nationalfeiertag. Ein ähnlich wichtiger Tag wie der 1. August in der Schweiz. Doch alles ist anders. Der Tag erinnert an das Ende der Dänisch-Norwegischen Personalunion 1814, wodurch das Land unabhängig wurde. Anders als in der Schweiz gibt es kein Feuerwerk, aber eine prachtvolle Parade der Schulkinder in schmucken Trachten. In der Hauptstadt Oslo führt sie am Schloss des Königs vorbei, der mit seiner Familie stundenlang mit Grüssen und Winken beschäftigt ist.

    Norwegerin in Oslo mit Tracht
    (Quelle: Osloer Schülerin am 17. Mai — Privates Foto)

    Die meisten Frauen sind in traditionellen Trachten gekleidet. Die Männer tragen zum Teil ebenfalls Tracht, doch wer sich diese teuren Kleider nicht leisten kann, kommt zu mindestens im feinsten Tuch mit Krawatte und den angesteckten Nationalfarben zum Umzug. Würden Sie am 1. August rumlaufen wie bei einem Opernbesuch oder voll in Schale wie auf einer Hochzeit? Die Norweger tun dies mit Begeisterung, vom Nachmittag des Vortags bis spät in den Abend des Feiertags.

  • Keine anderen Flaggen erlaubt, aber Trachten
  • Wie in der Schweiz ist das Land mit Flaggen und Fähnchen übersät, an jedem Balkon steckt die norwegische Fahne, und Taxis fahren geschmückt umher wie sonst die Fussballfans in der Schweiz bei einer Fussball-Meisterschaft.

    Flaggen in Oslo
    (Quelle: Privates Foto)

    Es gab im Vorfeld des Feiertags eine grosse Diskussion darüber, ob die knapp 9 % im Land lebenden Ausländer nun ihre eigene Flagge neben der Nationflagge zeigten dürfen oder nicht. Es wurde abgelehnt, aber einige Peruaner liessen es sich nicht nehmen, ihre eigenen farbenfrohen Trachten aus den Anden anzulegen und mit Stolz zu tragen.

  • Zwei statt vier Sprachen
  • Das Tagesprogramm beginnt zeitig. Bereits für 8:00 Uhr sind die ersten Gedenkfeiern an diversen Grab- und Mahnmalen angesetzt. Die Nationalhymne wird vielerorts gesungen, wie in der Schweiz, aber statt vier Sprachen finden sich nur zwei Sprachen auf dem Liederzettel. In Norwegen muss jeder die zweite Landessprache „Nynorsk“ (= Neu-Norwegisch) schreiben und verstehen können, denn es könnte ja sein, man arbeitet eines Tages in einer Verwaltung und ist verpflichtet, ein Bürgeranliegen in dieser Sprache, welche im Westen des Landes gesprochen wird, zu antworten. Die Hymne beginnt mit dem Satz „Ja, vi elsker dette landet“ = „Ja, wir lieben dieses Land.“

  • 387 Punkten für einen halben Norweger
  • In diesem Jahr gab es ausser den üblichen Bällen und privaten Festen in der Nacht zum Nationalfeiertag noch ein weiteres Highlight zu feiern: Der charmante russisch-norwegische Doppelbürger Alexander Rybak gewann das Eurovisionsfinale mit sensationellen 387 Punkten, einem neuen Rekord. Der bisherge Rekord lag bei 298 Punkten. Die Hälfte der 42 teilnehmenden Länder hatte ihm die höchstmögliche Zahl von 12 Punkten zugesprochen. Norwegen, sowieso schon in Feierlaune, flippte nun vollständig aus. 5‘000 vorwiegend weibliche Fans kamen am Abend zum Empfang ihres Lieblings zum Flughafen Gardemoen gefahren. Er hatte sie um Mitternacht im Fernsehen in Moskau vor 100 Millionen Zuschauern auf Norwegisch dazu aufgefordert. Der 23jährige leitete das grösste Jugendsymphonieorchester Norwegen und gewann mehrfach Preise in seinem Heimatland.

  • Die Rüsse kommen
  • Einen bunten Kontrapunkt zum feierlichen Treiben am Nationalfeiertag setzten die vielen tausend Abiturienten, alle Jahrgang 1990, die leicht an ihren roten Latzhosen zu erkennen. Sie nennen sich „Russe“, was „Rüsse“ gesprochen wird, und feiern zwei Wochen lang bis zum 17. Mai in umgebauten Partybussen und Fahrzeugen das Ende ihrer Schulzeit. Es gibt auch grüne, schwarze und blaue Latzhosenträger, aber die sieht man seltener. Grün steht für das „Landwirtschaftliche“ Abitur, Schwarz tragen die Informatiker, die Farbe ihrer Zukunft sozusagen, und blau.. nun, das sind vielleicht angehende Seeleute, so genau konnte mir das niemand erklären.

    Die Russen in Oslo
    (Quelle: Die Russen sind los in Norwegen — Privates Foto)

    Waschen dürfen sie die Latzhose in der Zeit nicht, und norwegische Kinder sind scharf auf die farbigen Phantasie-Visitenkarten, die jeder „Rüsse“ bei sich trägt und gern als Souvenir verteilt. Am 17. Mai morgens lagen in vielen Osloer Grünanlagen die roten Rüsse-Hosenträger und schliefen. Geschlafen wird in dieser Zeit wenig, das hat Zeit bis zum 18. Mai, doch dann beginnt die eigentlich Prüfungszeit.

  • Abitur kommt nach der Feier
  • Ja, Sie haben richtig gelesen, die Jugendlichen feiern paradoxerweise das Ende der Schulzeit ausgelassen, noch bevor sie ihren Abschluss geschafft haben. Permanente Streiche und Beschallung aus den mobilen Diskobussen sorgen für ein vierzehntägiges „Dauer-Schulsilvester“. Bei der Parade liefen ganze Horden von Latzhosenträgern „gegen den Strom“, mit Trillerpfeifen auch bei den lautesten Blaskapellen unüberhörbar.

    Spiegel-Online berichtete 2007 über die „Russen in Oslo“, wie sie zu wilden Parties in die Wälder vor Oslo mit ihren getunten Spezialbussen unterwegs sind, siehe hier.

    

    2 Responses to “Zwei Wochen lang Schulsilvester — Der 17. Mai in Oslo”

    1. Simone Says:

      Wer mehr über die norwegische Jugendkultur erfahren möchte, dem sei „Yesterday“ von Lars Saabye Christensen wärmstens an Herz gelegt.

      [Anmerkung Admin: Spielte das nicht in Schweden? ]

    2. andere Simone Says:

      Nein, da hat meine Namensvetterin schon Recht…Saabye Christensen ist Norweger, die Handlung spielt in und um Oslo (auch mal Trondheim) und ist einfach grandios!!!