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Als die Schweizer Uhren eine Stunde nachgingen — 28 Jahre Sommerzeit in der Schweiz

(reload vom 4.5.06)

  • Nichts geht ohne Zustimmung des Volkes
  • In der Schweiz ist es so gut wie unmöglich am Volk, dem Souverän, vorbei zu regieren. Oder besser gesagt: Etwas durchzusetzen, das vom Volk bereits auf breiter Front abgelehnt worden ist. Jedes politische Vorhaben muss aus diesem Grunde von einer breiten Konkordanz getragen werden, um nicht durch ein Referendum gestoppt werden zu können.

    Nur einmal gelang es, etwas „von oben herab“ dem Volk aufzuzwingen, ohne dass die Mehrheit tatsächlich damit einverstanden war. Wir reden von der Einführung der Sommerzeit im Jahre 1981, einer Sternstunde der Schweizer Demokratie.

  • Ist die Sommerzeit eine gute Idee für die Schweiz?
  • Bereits in den 20er Jahren wurde in der Schweiz über die Möglichkeiten zum Energiesparen durch eine Sommerzeit nachgedacht, und die Idee wurde verworfen:

    24.3.1917 Der Bundesrat lehnt es ab, die Sommerzeit einzuführen, weil diese keine wesentlichen Kohleneinsparungen mit sich bringe.
    (Quelle: www.parlament.ch)

    Ein paar Jahrzehnte später wurde dann doch ein Versuch gestartet, zur Zeit des Zweiten Weltkriegs:

    In der Schweiz galt in den Jahren 1941 und 1942 die Sommerzeit von Anfang Mai bis Anfang Oktober. Nach einer öffentlichen Debatte Ende der 1970er Jahre wollte man die Sommerzeit eigentlich auch nicht wieder einführen, (…)
    (Quelle: Wiki)

    Eigentlich nicht… aber dann fingen die Nachbarländer plötzlich an, die Uhren zwei Mal im Jahr umzustellen. Frankreich bereits 1976, Österreich und Deutschland 1980. In Deutschland wurde hierzu ein „Zeitgesetz“ erlassen. Darin heisst es:

    § 3 Ermächtigung zur Einführung der mitteleuropäischen Sommerzeit
    (1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur besseren Ausnutzung der Tageshelligkeit und zur Angleichung der Zeitzählung an diejenige benachbarter Staaten durch Rechtsverordnung für einen Zeitraum zwischen dem 1. März und dem 31. Oktober die mitteleuropäische Sommerzeit einzuführen.
    (2) Die mitteleuropäische Sommerzeit soll jeweils an einem Sonntag beginnen und enden. Die Bundesregierung bestimmt in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 den Tag und die Uhrzeit, zu der die mitteleuropäische Sommerzeit beginnt und endet, sowie die Bezeichnung der am Ende der mitteleuropäischen Sommerzeit doppelt erscheinenden Stunde.
    (Quelle:)

    So einfach ging das in Deutschland. Das Volk wählt ein Parlament. Das Parlament wählt eine Bundesregierung. Die Bundesregierung ist nun die Exekutive und kann durch die Legislative des Parlaments per Gesetz ermächtigt werden, die Sommerzeit einzuführen. Repräsentative Demokratie in Reinkultur. Bloss nicht jeden Bürger einzeln fragen.

    Die Schweizer Parlamentarier waren danach nicht untätig. Es wurde auch in der Schweiz ein „Zeitgesetz 941.299“ beschlossen, am 21. März 1980. Darin heisst es:

    Der Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
    gestützt auf Artikel 40 Absatz 1 der Bundesverfassung 1),
    nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 14. November 1979 2),
    beschliesst:
    Art. 1 Mitteleuropäische Zeit
    1 In der Schweiz gilt die mitteleuropäische Zeit.
    2 Die mitteleuropäische Zeit ist die Weltzeit plus eine Stunde.
    3 Der Bundesrat bestimmt die Einzelheiten der Messung und Verkündigung der Zeit.
    Art. 2 Sommerzeit
    1 Der Bundesrat kann, um Übereinstimmung mit benachbarten Staaten zu erreichen,
    die Sommerzeit einführen.
    2 Die Sommerzeit ist die Weltzeit plus zwei Stunden.
    3 Der Bundesrat legt jeweils den Zeitpunkt der Umstellung fest.
    Art. 3 Referendum und Inkrafttreten
    1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.
    2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.
    Datum des Inkrafttretens: 1. Januar 1981
    (Quelle: admin.ch)

    Schien ja alles in Ordnung zu gehen. Wenn da nicht der Artikel 3.1 gewesen wäre: „Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum“. Was bedeutet: Das Volk kann dazu auch NEIN sagen, wenn es gefragt wird. Es kommt, wie es kommen musste: Das Volk sagt NEIN.

    Zeitgesetz
    Die Vorlage wurde abgelehnt

    Stimmberechtigte
    Total Stimmberechtigte 3835650
    davon Auslandschweizer 4315
    Stimmbeteiligung
    Eingelangte Stimmzettel 1879954
    Stimmbeteiligung 49%
    Ausser Betracht fallende Stimmzettel
    Leere Stimmzettel 28392
    Ungültige Stimmzettel 1324
    In Betracht fallende Stimmzettel
    Gültige Stimmzettel 1850238
    Ja-Stimmen 886376 47.9%
    Nein-Stimmen 963862 52.1%

    Annehmende Stände 0
    Verwerfende Stände 0
    (Quelle: admin.ch)

    Mit den Einzelheiten des Abstimmungsverhaltens wollen wir uns jetzt nicht aufhalten. Natürlich waren in Basel 60% für die Sommerzeit, denn dort sah man kommen, was nun im Sommer 1980 Wirklichkeit wurde: Die Schweiz wurde eine MEZ-Insel mitten in Europa. Sie begab sich in „splendid isolation“ . Ob diese Isolation wirklich so „splendid“ war, sollte sich bald zeigen.

  • Die geballte Macht der Agrar-Lobby hatte erfolgreich zugeschlagen
  • (…) [Es] stiegen die einheimischen Bauern auf die Misthaufen und ergriffen das Referendum: Sie sorgten sich um die Kühe, die im natürlichen, sommer-zeitunabhängigen Biorhythmus zu melken, ihre Arbeitszeit abends verlängern sollte.

    Das Volk der Hirten sagte ja zu diesem Referendum, und die Schweiz wurde zur Zeitinsel, bis das Fernsehpublikum zu reklamieren begann: Die beliebte Krimisendung «Derrick» auf den deutschen Sendern lief plötzlich vor der Schweizer Tagesschau – ein unhaltbarer Zustand…
    (Quelle: webjournal.ch)

    Ein Zeitzeuge berichtet in einem Forum:

    (…) für den Zugverkehr und Ähnliches war das vermutlich lästig, aber ich fand’s gut. ich war da grad 14 und durfte abends nicht weg, da war’s klasse, so früh schon ‚Tatort‘ oder so gucken zu können…
    (Quelle: forum.freeklick.com)

    Besonders kritisch war die Schweizer „Zeitinsel“ für die SBB:

    Die Schweizerischen Bundesbahnen mussten einen eigenen Interimsfahrplan einführen, damit sie den Anschluss an die internationalen Züge gewährleisten konnten. Auf dem Flughafen Basel-Mulhouse wurden «Doppel-Uhren» aufgehängt – eine zeigte die schweizerische, die andere die europäische Zeit an…
    (Quelle: webjournal.ch)

    Was tun? Das Volk hatte NEIN gesagt, aber die Schweiz war im „Schussfeld des europäischen Gelächters“. Die Lösung kam durch den Nationalrat:

    3.3.1980 Der Nationalrat erteilt dem Bundesrat die Kompetenz zur Einführung der Sommerzeit.
    (Quelle: parlament.ch)

    Wie es dann weiterging, ist äusserst schwierig historisch zu rekonstruieren. Obwohl das Zeitgesetz vom Souverän abgelehnt worden war, konnte der Bundesrat die Einführung durchsetzen, so dass im Sommer 1981 die Schweizer „Zeitinsel“ der Geschichte angehörte.

    Doch noch war nicht alles verloren, denn nun tritt ein neues Gesicht in Erscheinung:

    (…) 1982 startete ein junger Politiker von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) – ein gewisser Christoph Blocher – eine neuerliche Initiative zur Abschaffung der Sommerzeit. Sein Argument waren nicht die Kühe, sondern der «missachtete Volkswille» – weil das Parlament trotz des Volks-Nein gegen die Sommerzeit dieselbe auf parlamentarischer Ebene eingeführt hatte. Eine immerhin grundsätzlich bemerkenswerte Einstellung über das Selbstbestimmungsrecht des Schweizervolkes. Doch diese neuerliche Initiative kam nicht zustande, (…)
    (Quelle: webjournal.ch)

    Das ging schief. Der gleiche Souverän, der ein Jahr zuvor noch Gegen diese europäischen Ideen war, hatte nun ein Einsehen und verweigerte die erforderliche Anzahl an Unterschriften:

    Im Sammelstadium gescheitert 02.03.1984
    Ablauf Sammelfrist 01.03.1984
    Sammelbeginn 31.08.1982
    Vorprüfung vom 17.08.1982
    (Quelle: admin.ch)

    So hatte in dieser Angelegenheit doch noch das Volk das letzte Wort, nachdem es auf „parlamentarischen Weg“ umgangen wurde. Es hätte die Sommerzeit wieder abschaffen können. Hat es aber nicht. Weil bis zu diesem Zeitpunkt jeder Schweizer bereits drei Mal die Sommerzeit am eigenen Leib erlebt hatte. Die Angst vor dem „Unbekannten“ war verloren, und die Erinnerung an nette lange Sommerabende im Hellen war stärker als die Solidarität mit den Bauern und ihren Milchkühen.

    

    7 Responses to “Als die Schweizer Uhren eine Stunde nachgingen — 28 Jahre Sommerzeit in der Schweiz”

    1. Georges Says:

      Da muss ich etwas korrigieren:

      Das erste Zeitgesetz vom 24.06.1977 wurde in der Volksabstimmung vom 28. Mai 1978 abgelehnt.

      Das Paralament hat deshalb am 21. März 1980 das zweite „Zeitgesetz 941.299“ beschlossen. Gegen dieses zweite Gesetz kam das Referendum nicht zustande, deshalb trat es am 1. 1. 1981 in Kraft und im Jahr 1981 wurde in der Schweiz die Sommerzeit eingeführt.

      Das lief also alles rechtlich korrekt und ordnungsgemäss ab. Aussergwöhnlich daran ist nur, dass das Parlament ein vom Volk abgelehntes Gesetz bereits nach einem Jahr nochmals neu auflegen wollte. Mit solchem Verhalten macht man sich in der Schweiz unbeliebt.

    2. cocomere Says:

      „Nichts geht ohne Zustimmung des Volkes“ sagt man gerne von unserer direkten Demokratie. Doch wenn es wirklich draufankommt, dann entscheidet eben nicht das Volk, da spricht man im Schnellverfahren 68 Miliarden für die gescheiterte UBS; eine Summe mit der man mind. 3 NEAT bauen, 10 Mal die Invalidenversicherung sanieren und 86 Mal den Beitrag für die Integration der Osteuropäischen Länder in die EU bezahlen könnte. Niemand hat wirklich was zu sagen zu diesen 68 Miliarden, das Volk schon gar nicht.

      Es ist deshalb auch kein Zufall, dass es der junge (? damals auch schön über 40…) Politiker Blocher war, der damals versuchte zu intervenieren. Er und seine Partei leben ja von diesem Mythos der Volksherrschaft.

    3. Eric Says:

      @Ein Zuercher:
      Da es Ihnen die alte Schreibweise mit den „Teutschen“ wohl angetan hat, hier etwas zur Ihrer Erbauung:

      „Die Nordteutschen (mit wenigen Ausnahmen) verachten und hassen die Südteutschen, glauben sich weit vor ihnen voraus und werden nie den herzlichen, unbefangenen Sinn derselben zu fassen, oder zu schätzen wissen. Wenn es ihnen gelingt (wovor Gott sey) unsere üppige Lebensfülle mit ihrer nördlichen Kälte und Steifheit zu ersticken, so ist unser Vaterland unwiederbringlich zu Grunde gerichtet.“
      -Johann Christoph von Aretins

    4. AnFra Says:

      @Unaussprechlicher

      Aus aktuellem Grunde wg. der UBS-Gauner und CS-Pistoleros hier ein sachlicher Textauszug original aus der Schweiz über deren Raubzüge:
      ….. „Die Bundesanwaltschaft braucht für die Eröffnung eines Verfahrens die ERMÄCHTIGUNG durch den Bundesrat.“……

      D.h.: Es wird also ein neuartiges schweizerisches „Verfahrenseröffnungsermächtigungsgesetz“ benötigt! Oder nich, mein Schweizerfreund?

      Man sollte sich schon arge Sorgen machen, um diese verdammte Störung mit der von dir postulierten Latte.

      Weiteres und Originaltext hier:
      http://www.drs.ch/www/de/drs/themen/news/wirtschaft/119683.keine-strafverfolgung-fuer-ubs-in-der-schweiz.html

    5. Max Says:

      @ cocomere
      @ Ein Zuercher

      Auch wenn die CHF 68 Mrd. immer wieder rumgeistern, gilt es zu präzisieren

      Der Bund hat ansehlich verzinste CHF 6 Mrd. ausgegeben als Darlehen an die UBS. Es ist richtig, dass das Geld weg ist, wenn die UBS hopps geht.

      Natürlich stört es auch mich, dass hier der Bundesrat kurzerhand tief in die sowieso leere Schatulle greift, ohne mich zu fragen…

      Die Nationalbank hingegen hat für USD 38,7 Mrd. von der UBS toxische Papiere abgekauft. Ob sich die Papiere bis zur Rückzahlung wieder erholen, und die Nationalbank evt. sogar einen Gewinn davon hat, bleibe dahingestellt. (http://www.nzz.ch/nachrichten/wirtschaft/aktuell/transfer_toxischer_ubs-titel_abgeschlossen_1.2324587.html)

      Die Nationalbank kann autonom handeln und muss sich weder von Politikern noch uns Normalbürgern etwas sagen zu lassen. O.K., mittels Initiative könnten wir ihr das Notenmonopol entziehen… 😉

      Die Nationalbank ist übrigens eine private, börsengehandelte Aktiengesellschaft und der grösste Einzelaktionär neben den Kantonen Zürich und Bern soll ein Professor aus München sein …

    6. cocomere Says:

      @ Zuercher
      @ Max
      @ Unaussprechliche

      Mit keinem Wort habe ich behauptet, es sei bei der Sprechung der UBS-Miliarden rechtlich etwas nicht sauber gewesen. Aber Fakt bleibt, dass es ein Mythos ist, dass das Volk immer das letzte Wort hat. Die Nationalbank gehört hauptsächlich dem Bund und den Kantonen, ihr Vermögen ist Volksvermögen. Die zu einem grössten Teil wahrscheinlich verlorenen 38,7$ müssen von den Schweizern und der Nationalbank wieder erwirtschaftet werden. Sogar das Parlament konnte alles nur durchwinken.

      Dafür dürfen wir dann wieder über irgendwelche Floskeln in der Bundesverfassung und über ein paar Einbürgerungen abstimmen (sogar, wenn die Sachen übergeordnetes Recht verletzt). Solange es die Wirtschaft nicht stört, darf ruhig „mitbestimmt“ werden. Andernfalls regeln die Oberen das (scheinbar ja rechtmässig) schon. Man soll aber ehrlich sein, und mit dem Mythos der so einmaligen direkten Demokratie mal abfahren.

    7. Guggeere Says:

      @ Max

      Jetzt bitte nicht wieder mit «ist doch alles nur halb so schlimm» kommen.

      Die 68 Milliarden geistern nicht herum, sondern wurden als Summe von einem politisch-wirtschaftlichen Klüngel (so nenne ich das aufgrund der bekannten Vorgänge) beschlossen, um ein paar Pleitebuden zu retten. Noch nicht klar ist, ob all diese Milliarden auch tatsächlich ausbezahlt werden bzw. verloren sind.
      Wer nicht zum erwähnten Klüngel gehört, fragt sich mit Recht, warum dieser bei anderen Gelegenheiten bedeutend weniger grosszügig zu handeln pflegt.
      Die Nationalbank gehört im Prinzip den Kantonen. Das bin ich, das bist du usw. Der grösste private Aktionär hat, relativ gesehen, Anteile im Bereich von ein paar Zerquetschten.
      Die Verwaltungsräte der SNB sind fast alles (ehemalige und aktuelle) eidgenössische und kantonale Politiker sowie Vertreter der Finanzwirtschaft (nicht selten natürlich in Personalunion…).
      So autonom ist die SNB in ihren Entscheidungen nun auch wieder nicht; sie hat klare, von der Politik definierte Aufträge (z.B. als «die Bank des Bundes»).
      Die Sache nun so darzustellen, als ob der Bund mit den Banken ein ganz grosses Geschäft gemacht habe, ist lächerlich. Bekanntlich ist dieser Milliardendeal nicht das einzige «Geschenk» (oder wie soll man das sonst nennen?) an die so genannte freie Marktwirtschaft, das von der öffentlichen Hand in den letzten Jahren in der Schweiz «überreicht» worden ist: V.a. Kantone und Gemeinden (also du und ich) finanzieren seit Jahrzehnten z.B. Parkhäuser und touristische Transportanlagen, die praktisch alle nicht rentieren, subventionieren über Sozialhilfe an Working Poors deren Arbeitgeber, die miese Löhne bezahlen…