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Renn wenn Du kannst — Was ist ein Turnschuhanschluss?

  • Das tägliche Fitnesstraining am Zürcher Hauptbahnhof
  • Die Zür(i)cher sind kreativ. Sie haben nicht nur einen enorm vielseitigen Namen, den man je nach Herkunft mal mit oder mal ohne Input-i schreiben kann, nein, sie machen sich auch intensiv Gedanken über die Fitness ihrer Tagesgäste, den Pendlern aus den Umlandgemeinden. Tagtäglich strömen diese aus den hintersten Ecken der Agglo zu ihnen per S-Bahn oder Zug. „Agglo“ nennen die Zürcher liebevoll ihr Umland. Der Kosename „Agglo“ von „Agglomeration“ kommt von Lateinisch „agglomerare“, und das heisst wörtlich „fest anschliessen„. Klingt irgendwie richtig zärtlich, so nach „fest in die Arme schliessen„. Man hat sie richtig lieb, die Menschen aus der Agglo, wenn man in Zürich lebt und täglich von diesen Gästen besucht wid.

  • Ich — ES — Über-Ich in ZürIch
  • Die Zürcher (jetzt ohne „i“) unterdrücken schüchtern ihren Binnen-Vokal „i“, denn der steht für „Intensiv“ , so intensiv wie sie das Leben an der Limmat in der heimlichen Hauptstadt der Schweiz täglich neu empfinden. Gibt es eigentlich überhaupt noch eine andere Stadt von ähnlicher Bedeutung in der Schweiz? Es ist diese spezielle Ich-Bezogenheit in ZürIch, von Französisch „sur„, dem Wörtchen für „über„, hier in dieser Stadt mit dem eingebauten „Über-Ich„, was sie bei den restlichen Schweizern so beliebt macht.

    Intensiv ist diese Stadt vor allem für den Herzschlag der Pendler. Diejenigen, die mit dem zugigen Zug von Zug her kommen, werden besonders gründlich bedacht. Für sie hat man sich in Zürich am Hauptbahnhof ein morgendliches Spezialtraining einfallen lassen: Den Turnschuhanschluss.

    Das wunderbare Wort hat es sogar schon in die heiligen Hallen von Hugo Egon Balders „Genial Daneben“ Studio in Köln-Hürth geschafft. Das Rateteam mit Hella von Sinnen, sonst immer voll bei Sinnen und Verstand, und Bernhard „Der Streber“ Hoëcker, hat nicht herausgefunden, welche Bedeutung sich dahinter verbirgt. Es wurde gemutmasst und theoretisiert, Ereignisse aus der Deutschen Geschichte wurden diskutiert, in welcher das Wörtchen „Anschluss“ eine unsägliche Rolle spielte, nämlich beim „Anschluss Österreichs“ 1938 an Nazideutschland. Das Wort kann in Deutschland zwar auch heute noch verwendet werden, in Zeiten von „Beziehungskisten“ und „Lebensabschnittspartnern“ können Menschen mitunter keinen „Anschluss finden“.

  • Weg mit dem Anschluss, es lebe die ReiseMöglichkeit
  • Im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn, die sich selbst nur noch „Die Bahn“ nennt, als ob es auf der ganzen Welt keine andere mehr gäbe, hat das Wort „Anschluss“ jedoch ausgedient und wurde schon vor Jahren im Zeichen der Privatisierung durch die „Reisemöglichkeit“ ersetzt. Kein Witz: Wenn Sie in Deutschland zu später Stunde ankommen, sagen wir so zwischen Mitternacht und 0:30 Uhr, dann können Sie von Glück sagen, wenn es diese „ReiseMÖGLICHkeit“ für Sie noch gibt. Anschlüsse haben Sie bald darauf sicher keine mehr, bis zu den ersten Frühzügen ab 5.00 Uhr.

  • Was ist ein Turnschuhanschluss?
  • Ein notwendig gewordener Sprint, den Sie am besten mit angelegten Turnschuhen und angelegten Ohren bewältigen, um bei der Ankunft ihres Zuges von Luzern/Zug/Thalwil am neuen Zürcher Bahnhof Sihlpost die 1.200 Meter bis zum S-Bahn-Tiefbahnhof „Museumsstrasse“ zurückzulegen. Von dort geht es dann mit der S-Bahn weiter. Klingt zwar sehr beschaulich dieser Bahnhof „Museumsstrasse“, heisst aber nur so, weil er auf der Seite des Schweizer Landesmuseums unter dem Zürcher Hauptbahnhof gebaut wurde. Von dem Museum sehen Sie also gar nichts. Hier unten irgendwo gibt es auch ein Stück Autobahntunnel, vor vielen Jahren erstellt und dann nie genutzt für die Autos, denn das dazugehörige Stück Autobahn unter der Oberfläche von Zürich wurde nie fertiggebaut. Nur das Tunnelteilstück ist fertig und wird als Lagerhalle oder skuriller Ort für House-Parties genutzt.

  • Der ultimative Kick per Board
  • Es gibt noch eine Alternative für die Turnschuhe: Kaufen Sie sich einfach ein Kickboard, am besten gleich mit Helm und Schonern dazu, denn dann haben Sie ein reelle Chance, innerhalb der vorgeschriebenen 4-5 Minuten ihren Anschlusszug an der anderen Seite des Bahnhofs tatsächlich zu erreichen.
    Hier der Weg in rot eingezeichnet, den Sie zurücklegen müssen.
    Der lange Weg zu Fuss per Turnschuh
    Sie sollten unterwegs das Geräusch eines Rettungswagens imitieren, dann haben Sie garantiert freie Fahrt in den Menschenmassen. Alternativ können Sie auch laut „Vorsicht: Heiss und fettig“ rufen und damit die anderen Pendler so irritieren, dass sich sogleich ein Gasse für Sie auftut. Erfahrene Pendler und „unter der Erde Umsteiger“ laufen oder kick-boarden übrigens auf der rechten Gangseite. Sie fallen mächtig auf, wenn Sie jetzt einen auf Britisch machen, und den Linksverkehr einführen.

    Turnschuhanschluss
    Turnschuhanschluss mit Helm, Kickboard und Reflektoren an den Turnschuhen. So soll es sein!

    (Zweiter Teil morgen: Die illegale Gleis-Lotterie am Bahnhof Museumstrasse)

    

    10 Responses to “Renn wenn Du kannst — Was ist ein Turnschuhanschluss?”

    1. ichbins Says:

      Der Bahnhof mit den G(e)leisen 😉 51-54 heisst nicht Löwenstrasse, sondern Sihlpost. Der Bahnhof Löwenstrasse wird erst in etwa 10 Jahren *aufholzklopf* fertiggestellt sein. Er wird wie der Museumsbahnhof unteriridisch, aber auf der anderen Seite des Hauptbahnhofes sein. (eben eingangs der Löwenstrasse ;)). Auch halten im Bahnhof Sihlpost schon lange keine ICs aus Luzern oder sonstwo mehr, sondern die S-Bahnlinien S2,S8, S14, S21 und S24.

    2. Administrator Says:

      @ichbins
      danke für den Hinweis mit der Löwenstrasse, ist schon korrigiert. Im Prinzip hast Du recht, nur die langsamen S-Bahnen kommen via Thalwil ganz vorn am Bahnhof Sihlpost an. Da ich selbst oft genug bei der Rückkehr aus der Innerschweiz gaaanz weit laufen musste, würde ich für deine Aussage, dass beim Bahnhof Sihlpost keine ICs aus Luzern halten, nicht die Hand ins Feuer legen.

    3. Videoman Says:

      Der regelmässige IC an den Gleisen 51-54 war am 11.12.2004. Seit dann fahren nur S-bahnen dort. War eigentlich lustig zu sehen, wie all diese Wiritschaftler in schicken Kleidern auf den Zug Richtung Zug/Luzern am morgen rennen mussten. Für einige reichte es nicht.

    4. Dan Says:

      Druckreifer Artikel! In meinen Augen ist „HahBee“ Zürich der Bahnhof Europas, wo sonst halten ICE, TGV, Talgo und Cisalpino zusammen. Da darf man von den Passagieren auch ein bisschen Schnelligkeit erwarten, zumal die nächsten Anschlüsse in allen erdenklichen Sprachen angesagt werden.

    5. peter Says:

      Vielleicht haben die SBB vom BAG (Bundesamt für Gesundheit) einen heimlichen Leistungsauftrag Zwecks „Förderung der Volksgesundheit“? 😉

    6. Fiona Says:

      Der schönste Bahnhof in Europa ist der Bahnhof Zug.

      http://www.bahnhofzug.ch

      >>Die Lichtinstallation des Künstlers James Turrell verwandelt mit Einbruch der Dämmerung das imposante Bahnhofgebäude in ein schwebendes Leuchtobjekt. Und das allein mit den drei Farben rot, blau und grün und den sich daraus ergebenden Schattierungen während ihrer fliessenden Bewegungen.

      Diese intensiven Lichtstimmungen verführen zum Sehen, fordern die Aufmerksamkeit der Passanten und Betrachtenden. Veränderungen des Tageslichts von der Dämmerung zur Nacht begleiten diesen Prozess und schaffen einen Ort, der nicht mehr statisch verharrt, sondern wechselnde, intensive Szenarien entfaltet. Und am Ende der alltäglichen Verkehrshektik verwandelt sich die Bahnhofhalle zum stillen Lichtraum, zum leuchtenden Volumen, das in die nächtliche Stadt hinaus strahlt.

      Die Lichtfarben werden durch separat ansteuerbare rot, grün und blau befilterte Fluoreszensröhren erzeugt. Sie sind so platziert, dass die vorgehängte Storenfläche der Aussenfassade, die sandgestrahlte gläserne Brüstung in den Hallen-Obergeschossen, die Storen der Innenfassade und das Glasdach zu Lichtflächen werden.

      Die Lichtkunst im Bahnhof Zug kann täglich ab Dämmerungsbeginn bis 23:00 Uhr bewundert werden. In der kalten Jahreszeit bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt kann es zu Einschränkungen im Betrieb der Lichtkunst kommen.

    7. eggestei Says:

      Ab/Bis Sihlpost fahren nur noch die Zusatz-IR, der Rest verkehrt fahrplanmässig in die Haupthalle, wie schon oben angeführt.
      Zu Turnschuhanschlüssen kann es trotzdem kommen, meine Lieblingsreisemöglichkeit 😉 die S3, die den HB um ..58 Richtung Aarau verlässt, wenn ich die erwische (natürlich wenn ich zur vollen Stunde im HB ankomme) bin ich nach dem Sitzen im Zug gleich wieder wach.

    8. Phipu Says:

      An Ichbins:
      Ich habe eben festgestellt, dass man auf Englisch und Hochdeutsch „auf Holz klopfen – kock on wood“ sagt. In Dialekt sagt man jedoch „Holz aalange/aalänge“ (Holz berühren) bei den gleichen Gelegenheiten. Auf französisch übrigens auch: „toucher du bois“.

      An Fiona:
      Danke für die Unterstützung. Es gibt tatsächlich nicht nur Zürich. DIE Stadt (eben, Sür-isch) ist nämlich nicht einmal die einzige mit dem frz. Zusatz „Sur …“. es gibt auch „sur Soleure“ (Solothurn) . Letzteres hat allerdings eine geschichtliche Bedeutung: Kürzeste Zusammenfassung hier: http://haeck.kaywa.ch/language-is-a-virus/mot-du-jour-etre-sur-soleure.html

      ausserdem:
      Sehr unschweizerisch ist der Wunsch der SBB, „die beste Bahn Europas“ zu werden. So viel Stolz und Ehrgeiz drückt man in der Schweiz eher selten aus. (Man glaubt zwar daran, dass unser Land in vielem besser ist als andere, aber sowas sagt man einfach nicht laut.) Dieses ehrgeizige Ziel, welches die SBB („`S Beschte Bähnli“) hat, kann jedoch gar nicht erreicht werden. Es gibt ja nur noch eine, nämlich DB („Die Bahn“) in Europa.

    9. ichbins Says:

      @Fiona: Das Bahnhöfchen (im Vergleich zum HB) Zug als vergleich ist schon nicht so passend 🙂

    10. Widi Says:

      Also ich finde ja Zürich nicht sooooo wahnsinnig… Und der Bahnhof Luzern kann meiner Meinung nach problemlos mit Zürich konkurrieren (Auch ohne TGV, ICE und so)

      Und wer einmal in Hong Kong (gibt aber sicher noch andere vergleichbare Städte) den öffentlichen Verkehr erlebt hat, weiss ebenfalls, dass die Schweizer zwar mit der SBB durchaus eine sehr gute Bahn hat – aber der ÖV hätte noch ein ganz anderes Potential!

      Gruss
      Widi