Leben ohne Genitiv — Jahresende ohne „des“

Dezember 28th, 2012

(reload vom 31.12.05)

Bald ist das Ende des Jahres 2012 gekommen. Die Deutschen feiern diesen Tag bzw. Abend als „Silvester“, in dem sie sich am Abend in einem der vielen Dritten Programme zum x-ten Mal die Wiederholung von „Dinner for one“ anschauen, bis um Mitternacht Siedler oder Rommé spielen oder Stefan Raab glotzen, dann mit einem Glässchen Mumm-Sekt auf die Strasse gehen, um sich die Ohren durch Nachbars Feuerwerk abbrennen zu lassen.

  • Strassenkampf um Mitternacht
  • Um Mitternacht herrscht Krieg auf Deutschlands Strassen, es werden Gefechte zwischen Strassenseiten und regelrechte Schlachten mit den Knallern und Raketen veranstaltet. Türen und Fenster sollten gut geschlossen sein in der ersten Stunde des neuen Jahres, sonst finden Sie plötzlich einen China-Böller, Knallfrosch, „Zisselmann“ (so heissen die „Frauenfürze“ in Norddeutschland) oder eine Rakete in Ihrem Schlafzimmer wieder. Die Zürcher lassen sich da mehr Zeit. Sie sind um Schlag 12.00 Uhr mit Anstossen beschäftigt, was bekanntlich eine Weile dauert (siehe Blogwiese) und brauchen erst um 00.20 Uhr auf die Strasse zu gehen, denn vorher gibt es kein Feuerwerk und Knallerei, sondern nur Kirchenglocken zu hören.

  • Kein „Ende des Jahres“ in der Schweiz.
  • Die Schweizer haben das „Ende des Jahres“ abgeschafft. Hier heisst es wesentlich häufiger kurz und bündig „Ende Jahr“ (Google 167.000), wie „Ende des Jahres“ (67.000 Belege)

    Beispiel aus dem Newsportal www.news.ch:

    Operativer Chef von Unaxis geht auf Ende Jahr (Quelle: news.ch)

  • Leben ohne „des“
  • Der Genitiv ist für die Schweizer eine viel zu komplizierte Angelegenheit bei zeitlichen Angaben, ausserdem gilt es wieder, Platz zu sparen in diesem kleinen Land, warum also dann das Wörtchen „des“ verwenden wenn es auch ohne geht? So heisst es in der Schweiz folgerichtig häufiger „Anfang Monat“ (897 Mal ) als „Anfang des Monats“ (690 Mal)

  • „Anfang Jahr“ statt „Anfang des Jahres“
  • Besonders krass ist der Unterschied beim Jahr: „Anfang Jahr“ (140.000 Mal) und nicht „Anfang des Jahres“ 23.000 Mal.

    Beispiel aus dem Zürcher Unterländer vom 9.12.05:

    Rafz: Schulsozialhelferin beginnt Anfang Jahr ihre Arbeit

    Sogar „Anfang Woche“ findet sich 103’000 Mal

    Bleibt uns nur noch, den Lesern der Blogwiese einen „Guten Rutsch“ zu wünschen, also einen „Guten Jahresanfang“ (mit Genitiv-S!), denn daher kommt dieser Wunsch:

    Einen guten Rutsch! — das wünscht man einander zum Jahreswechsel. Doch obgleich dieser im deutschsprachigen Raum oft von Schneematsch und Glatteis begleitet ist, hat der Wunsch damit nichts zu tun, und auch die Assoziation mit dem Hineingleiten ins nächste Jahr (Einen guten Rutsch ins neue Jahr!) ist nur eine Volksetymologie. Rutsch geht hier vielmehr mit Umweg über das jiddische/rotwelsche rosch auf das hebräische rosh zurück, was Kopf oder auch Anfang heißt. Man wünscht einander also schlicht einen guten (Jahres-)Anfang (Quelle:)

    Kein Nikolaus bei den Schweizern — Schweizer Bräuche in der Adventszeit

    Dezember 6th, 2012

    (reload vom 6.12.05)
    Am 6. Dezember ist weltweit der Namenstag vom Heiligen Sankt Nikolaus. Weltweit? Nicht so in der Schweiz, denn hier bekommt der gute Mann einen ganz eigenen Namen.

  • Der Bruder von Sammy Davis?
  • Der Schweizer Nikolaus heisst „Samichlaus„! Nun, da haben doch sicher die Amerikaner ihre Finger mit im Spiel gehabt, als sie ihren „Rat Pack“ Sänger Sammy Davis jr. mit einem Schweizer Insekt sprachlich kreuzten und das Ganze mit etwas „Confederation Helvetica = CH“ in der Mitte ausstaffierten? Sami-CH-Laus? Welche Laus ist ihnen da über die Leber gelaufen? „Chonnsch druus“, oder bleibst Du lieber drinnen?
    Die Wahrheit liegt in den Mechanismen der Sprach-Verschleifung verborgen. Aus Sankt-Nikolaus wurde über viele Umwege Sam-i-chlaus. „Sankt“ mutierte zu „Sam„,“ i-kolaus“ zu „i-Chlaus„. Nix mit Sammy Davis zu tun, was an sich schade ist, so käme mal ein bisschen Musik mit ins Spiel.

    Ein Bischof mit Namen Nikolaus beschenkte vor vielen hundert Jahren arme Kinder mit Äpfeln und Nüssen. Später wurde er heilig gesprochen, und in Erinnerung an den wohltätigen Mann kommt noch heute der Sankt Nikolaus am 6. Dezember, seinem Namenstag, zu den Kindern. In unserer Mundart wurde aus Sankt Nikolaus «Samichlaus». Sein Knecht mit Namen Ruprecht heisst bei uns «Schmutzli».(Quelle)

    Die nächste Frage, die wir uns unweigerlich stellen müssen, ist warum der gute alte Knecht „Ruprecht“ in der Schweiz eine Verkleinerungsform von „Schmutz“ verpasst bekommen hat:
    Der „Schmutzli„. Nun, er kommt mit einem geschwärzten „schmutzigen“ Gesicht daher. Aus Tarngründen, damit die Kinder nicht so leicht den Nachbarn Herrn Bünzli oder den Onkel Hansruedi unter der Maske erkennen können. Samichlaus hat ja seinen fantastischen weissen Bart, um nicht erkannt zu werden. Beim „Schmutzli“ muss es schwarze Schminke zusätzlich zum Bart im Gesicht tun.

    Wir finden, der sieht regelrecht zum fürchten aus. Fehlt nur noch die Sense und eine Sanduhr, dann könnte der glatt als „der Tod“ durchgehen.

  • Gritibänz und Stutenkerl
  • Zu essen gibt es am 6.12. in der Schweiz auch etwas, und zwar „Gritibänz„.
    Grittibänz mit Besen
    Wie kommt er nur zu seinem merkwürdigen Namen?

    Der Name „Gritibänz“ (auch „Grittibänz“ geschrieben) ist ein zusammengesetztes Wort und kann entsprechend analysiert werden. Der Wortteil „Bänz“ kann als Kurzform des Namens „Benedikt“ interpretiert werden. Dieser Name war früher sehr häufig und bot sich deshalb als Bezeichnung an, ähnlich wie das bei anderen Namen auch zu beobachten ist, die für spezielle „Komplimente“ verwendet werden. So heisst es in der Mundart beispielsweise oft auch „e Chlaus“, e Goiferludi (=> Ludwig) oder „Es isch Hans was Heiri“ (= Es läuft auf dasselbe hinaus). Auch Kombinationen mit dem Vorwort „Suuf-“ (= Trinker) sind anzutreffen.

    Der erste Wortteil kommt von „gritte“, was etwa soviel wie „die Beine spreizen“ bedeutet. Aufgrund der Teigform ist das nachvollziehbar. Das Wort „gritte“ kann seinerseits weiter zurück verfolgt werden. So kannte man früher im Kanton Aargau das Substabtiv „e Gritti“ (= alter Mann, der breitbeinig geht) und auch die Beschreibung „grittlige“ mit der Bedeutung von „rittlings“. Letzlich gibt es auch Verbindungen zum Wort „grätschen“, das jedem Turner ein Begriff ist.

    In Basel heisst der Gritibänz entsprechend „Grättimaa“, weil es dort dafür das Wort „grätte“ gibt und „Maa“ schlicht Mann bedeutet.

    In Zürich und im Thurgau heisst das Pendent zum Gritibänz „Elggermann“. Nach der Legende hat ein geschäftiger Bäcker aus der Gemeinde Elgg diesen Teigartikel hergestellt und auf den Märkten der Umgebung erfolgreich verkauft. (…) (Quelle🙂

    In Deutschland ist diese Figur unter anderem als „Stutenkerl“ bekannt, denn „Stuten“ ist der Name für das leckere Weissbrot. Was mich nicht davon abhält, den passenden Kalauer zu erzählen:

    Kommt ein Hengst in eine Bäckerei und fragt: „Haben Sie Stuten“?

    Ein echter „Stutenkerl“ hat eine funktionstüchtige Pfeife aus Ton mit eingebacken. Willkommen bei Jung und Alt, um damit am Nikolaustag vor den Freunden im Kindergarten anzugeben oder in der Grundschule seine ersten „Tabakpfeifen-Raucherfahrungen“ hinter der Turnhalle zu machen, von der Gelb- bis zur Grün-Phase sozusagen (Gesichtsfarbe).

    Dann lieber selbstgemacht Lebkuchenmänner verzieren und niemals verzehren:
    Lebkuchen selbst verziert

    Die Süddeutschen sagen übrigens nicht „Stutenkerl„, sondern „Weckmann“ zu diesem leckeren Gesellen. Das hat einen einfachen Grund: Kaum wurde er am Nikolaustag von den Kindern im sauber geputzen Stiefel vor der Wohnungstür gefunden, ist er schon wieder „weg, man„. Ratz fatz gegessen beim Frühstück, so lange er noch frisch und geniessbar und nicht steinhart geworden ist.

    Die Schweizer, speziell die aus Chur, haben noch andere merkwürdige Sitten zur Advents- und Weihnachtszeit. So verspeisen sie zum Beispiel auch die Gebeine ihrer Toten: Totebeinli“ schmecken echt lecker und werden von den lokalen Zahnärzten gesponsort.