Begrüssungen in der Schweiz sind kompliziert — Sie können auch demokratisch abgeschafft werden

November 3rd, 2010
  • Wie begrüsst man sich richtig in der Deutschschweiz?
  • Wir erhielten Post von Christian aus Deutschland, der in der Schweiz lebt und uns seine Erlebnisse zum Thema „Korrekte Begrüssung in der Schweiz“ schilderte:

    Vor zirka einem Jahr trat ich einem Schweizer Sportverein bei. Nach dem ersten Training stand man noch eine Weile wie üblich vor der Halle und unterhielt sich – bis es zur Verabschiedung kam. Ich als Deutscher war „bis anhin“ gewohnt, dass man sich mit „Bis dann„, oder „Ciao“ in die Runde verabschiedet und dann geht. Ebenso bei der Begrüssung. In der Schweiz ist das unmöglich. Man erntet unweigerlich böse Blicke. Durch schlaue Beobachtungsgabe habe ich observiert, wie meine Schweizer Sportkollegen sich untereinander begrüssen und verabschieden. Darüber kann man Sozialstudien treiben. Je nach Geschlecht und persönliche Beziehungen ist es entweder ein cooler „handshake“ unter den Männern, infaches Handgeben zwischen Mann und Frau und auch Frau und Frau (die noch distanziert sind), sowie drei Küssli – beginnend immer mit linken Wange an Wange (sonst vertieft sich unweigerlich die Beziehung) unter den Frauen sowie auch zwischen Mann und Frau. Sehr wichtig bei diesem Ritual ist das Sagen des Namens. Beispielsweise: „Ciao, Klara.“ Erwidert wird: „Ciao, Chrigi.“ und nun kommen die drei Küssli. Man kommt also in eine Runde aus ca. 30 Personen unsere Trainings sind immer voll) und ist vielleicht erst das zweite oder dritte Mal dabei und sieht sich sozialen Problemen gegenüber. Wie verabschiede ich mich jetzt angemessen?!

  • Vornamen lernen ist sehr wichtig in der Schweiz
  • Ich muss dazu sagen, ich gehöre zu der Gruppe Personen (Männer?), die sich keine drei Sekunden Namen merken können. Mir ist schon aufgefallen, dass ich mich den ganzen Abend mit jemanden unterhalte und am Ende feststelle muss,
    dass ich keinen blassen Dunst habe, wie die- oder derjenige heisst (ich habe es untersucht, es passiert mir auch bei bildhübschen Frauen. „Hallo, mein Name ist Tanja.“ Eins – zwei – drei und verschwunden ist er aus meinem Gedächtnis). Also sind Namen für mich Schall und Rauch – mit der Zeit lernt man sie und behält sie im Gedächtnis. Wichtig ist viel mehr, das eine Person sympathisch ist.^Dieses „Ritual“ trieb mir aber immer Schweissperlen auf die Stirn (gut, ich
    übertreibe). ‚Gott, wie heisst Sie noch mal?! Ach ja, jetzt hab ichs… . Gut, wir haben uns letzte Woche unterhalten, aber kenne ich sie schon gut genug für drei Küssli?‘ Ich bekomme die Hand hingehalten: ‚Ah ja, offensichtlich nicht.‘
    Es gibt auch Frauen in unserem Verein, die bei 30-40 Leuten nur Zwei küssen und dem Rest die Hand gibt. Nun ja, der „Einte“ oder Andere würde jetzt sagen, man kann auch Probleme in Nichtigkeiten suchen. Vor zirka einem halben Jahr kam es einmal zu einer Abstimmung in unserem Verein. Die „drü Küssli“ führten nämlich mittlerweile zu erheblichen Verzögerungen vor dem Training. Bei 30 – 40 Leuten dauert es schon einige Zeit, bis man alle abgeküsst hat und bgeküsst wurde.

  • Abstimmen über Begrüssungsküsse
  • Somit wurde es ein einer Abstimmung kurzerhand abgeschafft. Da sich aber einige nicht daran halten konnten (sie haben zum Beispiel auch privat viel miteinander zu tun) weichte diese Abmachung wieder auf. Gestern hatten wir eine Teamsitzung, wo diverse Anliegen Betreff des Trainings zur Sprache gebracht werden konnten. Unter anderem wurde auch die Begrüssung und Verabschiedung angesprochen und eine hitzige Diskussion entbrannte. Ich hörte Kommentare wie „Das haben wir seit Jahren so gehandhabt“, „Das gehört sich i d’Schwiiz eifach so.“, „Ein Kuss reicht doch“, „Aber es dauert einfach ewig bis man alle durch hat und anschliessend in der Beiz müssen sich alle den „Grind“ verrenken beim Tschüss sagen.“ etc. Das witzige daran war, das eingehendes Beispiel (kenn‘ ich sie gut genug, oder noch nicht) von einigen angeführt wurde und eine Diskussion entfachte, ob man die Begrüssung dahingehend nun doch Vereinheitlichen soll, oder nicht.

    Ich schreibe dies, weil ich es für etwas ausserordentlich Kurioses halte. Noch nie in meinem Leben habe ich mir so viel über Begrüssungen und Verabschiedungen Gedanken machen müssen, geschweige denn darüber geredet. Beste Grüsse, Christian
    (Quelle: Private E-Mail)

    Tja Christian, die Vornamen verraten uns, dass du dich im sicher im Kanton Bern angesiedelt hast. Der westschweizer Einfluss wirkt mächtig mit in diesem Kanton. Ich kann dir versichern, dass es in Zürich nicht ganz so stressig zugeht, aber Vornamen lernen musst du auch hier. Und dazu solltest du dir echt eine Methode überlegen. Vielleicht einfach mal ein paar Fotos machen von allen und die Namen draufschreiben, oder du denkst dir zu jedem Namen eine Mnemotechnische Geschichte zum Behalten aus. Es hilft alles nix: Wenn du die Vornamen nicht lernst, wirst du weiterhin ziemlich schief angesehen.

    „Das war nicht so gut“ — Dänische Knappheit und Deutscher Konjunktiv

    November 1st, 2010
  • Dänische und Deutsche Höflichkeit
  • Die Deutschen in der Schweiz sind oft erstaunt über die Höflichkeit, die sie bei Schweizern erleben, und ecken selbst oft an, wenn sie zu direkt und kurz angebunden sofort zur Sache kommen und sich damit nicht an lokale Gesprächskonventionen halten. Auf der Webseite www.dk-forum finden wir einen Beitrag, in dem zu lesen ist, dass es auch zwischen Dänen und Deutschen unterschiedliche Auffassung von Höflichkeit gibt. Nur mit umgedrehten Vorzeichen (Schweizer dürfen hier „gekehrten Vorzeichen“ einfügen).
    Das Rathaus von Kopenhagen
    (Foto: Kopenhagen Rathaus im Januar 2010)

    Dänische Touristenbüro-Mitarbeiter sind sprachlich bei weitem nicht höflich genug – wenn sie deutsche Touristen informieren. Gleichzeitig übersehen die Deutschen jedoch oft, daß die Dänen in einer anderen Weise Ausdruck für Höflichkeit geben – z. B. mit einem kleinen Lächeln. Dies zeigt eine große Untersuchung von Gesprächen zwischen deutschen Touristen und Angestellten bei dänischen Touristenbüros. Die Untersuchung ist von Elin Fredsted von der „Syddansk Universitet“ durchgeführt worden. (…)
    Elin Fredsteds Untersuchung enthüllt, daß dänische Touristenbüro-Mitarbeiter große Schwierigkeiten damit haben, deutsche Gespräche in einer formell höflichen Weise einzuleiten oder zu beenden, so wie es die Deutschen erwarten. Häufig überspringen die Dänen die höflichen Sprachrituale. Die Angestellten beantworten auch selten ein „danke“ oder einen Abschiedsgruß der deutschen Touristen. Darüber hinaus haben die dänischen Touristenbüro-Mitarbeiter Schwierigkeiten ein Bedauern oder eine Entschuldigung in einer konventionell höflichen Weise auszudrücken, so wie die Deutschen es gewohnt sind.
    (Quelle für dieses und die weiteren Zitate: dk-forum.de)

    Lässt sich daraus vielleicht nun die Theorie ableiten, dass die Menschen immer wortkarger und direkter werden, je weiter man in den Norden vorstösst? Sich in Finnland somit jede Höflichkeitsfloskel ganz erübrigt? Laut dem Beitrag fehlt es an „verbaler Höflichkeit“ bei Dänen:

    Die Gespräche in der Untersuchung sind auf Tonband und Video aufgenommen worden – und hier gibt es ein kleines Beispiel:
    „Deutscher Mann: Wir sind am Sonntag eingezogen (…) und es gibt einige technische Probleme. Die Toilette zieht nicht so gut.
    Dänischer Touristenbüro-Mitarbeiter: Das war nicht so gut. Ihre Schlüsselnummer?“
    Der Satz „Das war nicht so gut“ ist typisch dänisch, drückt aber gar nicht den gleichen Grad des Bedauerns auf Deutsch aus wie in der dänischen Sprache. Aus dem Untersuchungsmaterial geht außerdem hervor, daß keiner der dänischen Touristenbüro-Mitarbeiter die spezielle Höflichkeitsform der deutschen Grammatik (Konjunktiv II) beherrscht.

    Wie geht noch mal Konjunktiv II? „Könnten Sie das für mich machen?“ „Hätten Sie einen Moment Zeit?“ „Ich hätte gern ein Bier“ , zitieren wir bei Wikipedia:

    Die Möglichkeitsform dient hier dazu, um den Wunsch oder den Anspruch auf Erfüllung förmlich abzumildern.
    (Quelle: Wikipedia)

    Also nix mit direkter Ausdrucksweise. Das „Abmildern“ wird hier als typisch Deutsch empfunden. Das Fehlen dieser Höflichkeitsform ist bei Dänen normal, doch bei Deutschen extrem unhöflich:

    Die Dänen können daher als ziemlich schroff und kurz angebunden aufgefaßt werden. Hier folgt ein anderer Auszug – wörtlich und sprachlich unvollkommen – aus einem dänischen Touristenbüro:
    „Deutsche Dame: Wo ist eine Bank? (Der dänische Mitarbeiter zeigt ihr die Bank auf der Karte)
    Deutsche Dame: Wie lange Öffnungszeiten?
    Touristenbüro-Mitarbeiter: bis 16 Uhr.
    Deutsche Dame: Und die Hauptstr. nach Tondern? (Der Touristenbüro-Mitarbeiter zeigt es auf der Karte)“
    Der dänische Mitarbeiter ist sehr wortkarg und benutzt auch keine höflichen verbalen Ausdrücke bei der Überreichung der Materialien, z. B. „Bitte schön“.

    Im nächsten Abschnitt sieht die Studie sogar Ähnlichkeiten zum Schweizerdeutschen:

    „Von meinen Abschriften der Gespräche in den Touristenbüros konnte ich sehen, daß Deutsch wortreicher als Dänisch ist. Es gibt eine ähnliche Untersuchung zwischen Hochdeutsch und Schweizerdeutsch. Hier zeigte es sich, daß Schweizerdeutsch wortarmer in Verbindung mit Einleitungen und Abschlüssen von Gesprächen ist. Dies könnte daher verursacht sein, daß die Schweizer und Dänen jahrhundertelang in kleinen, überschaubaren ländlichen Einheiten gelebt haben – wo man selten das Bedürfnis hatte, Gespräche mit Fremden einzuleiten – und deshalb nicht so viele verbalen höflichen Sprachrituale hierfür hätten.

    Hier irrt der Autor aber gewaltig. Wir empfinden gerade, dass die klassische Gesprächeinleitung im Schweizerdeutschen und der Abschluss von Gesprächen sehr ausführlich begangen wird: „Ist das so gut? Haben Sie sonst noch eine Frage? Mol, das ist gut so. Auf Wiederluege etc. etc.“
    Dänemark ist ja auch ziemlich weit weg von der Schweiz, und die Berge sind nicht so hoch dort. Ob es da tatsächlich Ähnlichkeiten in der Wortknappheit der Völker gibt? Was passiert eigentlich, wenn ein Schweizer nach Dänemark kommt oder ein Däne in die Schweiz? Brauchen Sie dann einen Deutschen als Kultur-Vermittler?