Begrüssungen in der Schweiz sind kompliziert — Sie können auch demokratisch abgeschafft werden
Wir erhielten Post von Christian aus Deutschland, der in der Schweiz lebt und uns seine Erlebnisse zum Thema „Korrekte Begrüssung in der Schweiz“ schilderte:
Vor zirka einem Jahr trat ich einem Schweizer Sportverein bei. Nach dem ersten Training stand man noch eine Weile wie üblich vor der Halle und unterhielt sich – bis es zur Verabschiedung kam. Ich als Deutscher war „bis anhin“ gewohnt, dass man sich mit „Bis dann„, oder „Ciao“ in die Runde verabschiedet und dann geht. Ebenso bei der Begrüssung. In der Schweiz ist das unmöglich. Man erntet unweigerlich böse Blicke. Durch schlaue Beobachtungsgabe habe ich observiert, wie meine Schweizer Sportkollegen sich untereinander begrüssen und verabschieden. Darüber kann man Sozialstudien treiben. Je nach Geschlecht und persönliche Beziehungen ist es entweder ein cooler „handshake“ unter den Männern, infaches Handgeben zwischen Mann und Frau und auch Frau und Frau (die noch distanziert sind), sowie drei Küssli – beginnend immer mit linken Wange an Wange (sonst vertieft sich unweigerlich die Beziehung) unter den Frauen sowie auch zwischen Mann und Frau. Sehr wichtig bei diesem Ritual ist das Sagen des Namens. Beispielsweise: „Ciao, Klara.“ Erwidert wird: „Ciao, Chrigi.“ und nun kommen die drei Küssli. Man kommt also in eine Runde aus ca. 30 Personen unsere Trainings sind immer voll) und ist vielleicht erst das zweite oder dritte Mal dabei und sieht sich sozialen Problemen gegenüber. Wie verabschiede ich mich jetzt angemessen?!
Vornamen lernen ist sehr wichtig in der Schweiz Ich muss dazu sagen, ich gehöre zu der Gruppe Personen (Männer?), die sich keine drei Sekunden Namen merken können. Mir ist schon aufgefallen, dass ich mich den ganzen Abend mit jemanden unterhalte und am Ende feststelle muss,
dass ich keinen blassen Dunst habe, wie die- oder derjenige heisst (ich habe es untersucht, es passiert mir auch bei bildhübschen Frauen. „Hallo, mein Name ist Tanja.“ Eins – zwei – drei und verschwunden ist er aus meinem Gedächtnis). Also sind Namen für mich Schall und Rauch – mit der Zeit lernt man sie und behält sie im Gedächtnis. Wichtig ist viel mehr, das eine Person sympathisch ist.^Dieses „Ritual“ trieb mir aber immer Schweissperlen auf die Stirn (gut, ich
übertreibe). ‚Gott, wie heisst Sie noch mal?! Ach ja, jetzt hab ichs… . Gut, wir haben uns letzte Woche unterhalten, aber kenne ich sie schon gut genug für drei Küssli?‘ Ich bekomme die Hand hingehalten: ‚Ah ja, offensichtlich nicht.‘
Es gibt auch Frauen in unserem Verein, die bei 30-40 Leuten nur Zwei küssen und dem Rest die Hand gibt. Nun ja, der „Einte“ oder Andere würde jetzt sagen, man kann auch Probleme in Nichtigkeiten suchen. Vor zirka einem halben Jahr kam es einmal zu einer Abstimmung in unserem Verein. Die „drü Küssli“ führten nämlich mittlerweile zu erheblichen Verzögerungen vor dem Training. Bei 30 – 40 Leuten dauert es schon einige Zeit, bis man alle abgeküsst hat und bgeküsst wurde.Abstimmen über Begrüssungsküsse Somit wurde es ein einer Abstimmung kurzerhand abgeschafft. Da sich aber einige nicht daran halten konnten (sie haben zum Beispiel auch privat viel miteinander zu tun) weichte diese Abmachung wieder auf. Gestern hatten wir eine Teamsitzung, wo diverse Anliegen Betreff des Trainings zur Sprache gebracht werden konnten. Unter anderem wurde auch die Begrüssung und Verabschiedung angesprochen und eine hitzige Diskussion entbrannte. Ich hörte Kommentare wie „Das haben wir seit Jahren so gehandhabt“, „Das gehört sich i d’Schwiiz eifach so.“, „Ein Kuss reicht doch“, „Aber es dauert einfach ewig bis man alle durch hat und anschliessend in der Beiz müssen sich alle den „Grind“ verrenken beim Tschüss sagen.“ etc. Das witzige daran war, das eingehendes Beispiel (kenn‘ ich sie gut genug, oder noch nicht) von einigen angeführt wurde und eine Diskussion entfachte, ob man die Begrüssung dahingehend nun doch Vereinheitlichen soll, oder nicht.
Ich schreibe dies, weil ich es für etwas ausserordentlich Kurioses halte. Noch nie in meinem Leben habe ich mir so viel über Begrüssungen und Verabschiedungen Gedanken machen müssen, geschweige denn darüber geredet. Beste Grüsse, Christian
(Quelle: Private E-Mail)
Tja Christian, die Vornamen verraten uns, dass du dich im sicher im Kanton Bern angesiedelt hast. Der westschweizer Einfluss wirkt mächtig mit in diesem Kanton. Ich kann dir versichern, dass es in Zürich nicht ganz so stressig zugeht, aber Vornamen lernen musst du auch hier. Und dazu solltest du dir echt eine Methode überlegen. Vielleicht einfach mal ein paar Fotos machen von allen und die Namen draufschreiben, oder du denkst dir zu jedem Namen eine Mnemotechnische Geschichte zum Behalten aus. Es hilft alles nix: Wenn du die Vornamen nicht lernst, wirst du weiterhin ziemlich schief angesehen.
November 3rd, 2010 at 8:43
Lieber Christian, sowohl mein Mann als auch ein guter Freund von uns haben extrem Mühe mit den Namen. Was machen sie? Sie stehen immer etwas hinter mir und begrüssen genau die Leute, die ich vorher begrüsst habe … und sie hören gut zu. Peinlich wird es nur, wenn ich einen Namen falsch im Gedächtnis habe, dann verwenden mein Mann und der Freund auch den falschen Namen. Also: such Dir einen guten Vorredner!
November 3rd, 2010 at 19:25
Die Erfahrungen, die Christian mit dem Küsschengeben hierzulande gemacht hat, sind auch Originaleidgenossen nicht unbekannt. Diese Sitte wurde tatsächlich von der Westschweiz, möglicherweise auch von der übrigen lateinischen Schweiz übernommen, war dort aber meines Wissens
ursprünglich vor allem innerhalb der Verwandtschaft üblich, und zwar auch unter Männern. Der Brauch gehört zur dortigen Alltagskultur, und daher wissen unsere „Lateiner“ intuitiv, in welchen
Situationen er angebracht ist. Es versteht sich von selbst, dass es unter diesen Umständen keiner Absprachen bedarf.
Vor nicht allzu langer Zeit waren Küsschen in der Deutschschweiz fast nur beim Abschied und beim Wiedersehen nach längerer Abwesenheit unter Verwandten üblich, sonst eher nur zwischen Erwachsenen und mit diesen verwandten Kindern.
Von einem jungen Spanier weiss ich, dass er nach seiner Rückkehr von einem längeren Aufenthalt in
der Schweiz bei seinen Angehörigen mit drei Küsschen Erstaunen und Heiterkeit hervorgerufen hat. In Spanien reichen offenbar zwei.
Das Abküssen innerhalb einer Gruppe von Menschen, die sich nicht alle gleich gut kennen, kann z. T. schon etwas peinlich sein. Ich bin nicht gerade darauf erpicht, eine mir kaum bekannte Frau zu
küssen, da sie es vielleicht gar nicht mag. Andererseits kann urückhaltung auch als Affront
empfunden werden.
November 4th, 2010 at 16:14
@ Brenno
Die Spanier küssen nur twice? Also das ist ja echt daneben, nachdem wir hier in der Schweiz den Triple eingeführt haben!! Die sollen sich anpassen, goppel. Wir sind die besseren Küsser!
Eure Probleme möcht ich haben!
November 4th, 2010 at 20:46
@ Bruno(egg)
Tja, wer keine grösseren Probleme hat, macht sich eben welche. Vielleicht ist das noch ein Grund, der EU nicht beizutreten…
November 9th, 2010 at 20:33
Also ich kenne 4 Arten die ich brauche, 3 verschiedene Händeschütteln und 1 umarmen. Dann gibts jedoch noch 3 Küsse und diverse Arten wie man tschüss sagt (tschüss, tschau, bis morn, machs guet, heb der Sorg, hoi, salut, halo, grüezi, Hoi (NAME), Tschüss (NAME), …) – davon gibts unendlich viele. Es kommt dabei aber auch nicht drauf an. Mit Hoi und Tschüss liegt man nie daneben. Wenn mans dann im Griff hat kann man den Gruss oder den Abschied auf die Situation anpassen. Doch das gibts ja in DE auch, vielleicht nicht so viele.
Schwierig wirds erst bei den 3 Handschlägen. Doch meistens stiert man sich mit seinem Durch am Anfang und mit der Zeit wird der unter einer Gruppe sowieso standardisiert.
xD Das isch also kän Grund zum äs Gschiss druus zmache. ^^
Juni 26th, 2011 at 11:46
Ich wohne seit einem Jahr mit vielen deutschen Praktikumsstudenten zusammen, die Gruppenzusammensetzung verändert sich immer wieder und immer wieder stehen wir vor demselben Problem.
Mittlerweile hat sich folgende Methode durchgesetzt: beim ersten Mal sehen stellt man sich vor (nur die Hand geben!), beim verabschieden gibt’s dann die 3 Küsschen, wobei dies am Anfang von den Deutschen mit leichter Verwirrung quittiert wurde („Ach, in der Schweiz küsst man 3 mal?! Okay“). Anschliessend wird immer 3 mal auf die Wange geküsst, AUSSER mit denen, die einen wirklich ans Herz wachsen, da umarmt man sich.
Es gibt also immer verschiedene Handlings, es passiert allen einmal, dass sie ein „Gstürm“ bekommen, das wird nicht als sehr tragisch angesehen. Peinlich ist’s aber schon 😉
August 28th, 2011 at 15:57
Darüber habe ich mir in meinen 45 Jahren noch nie Gedanken gemacht… Interessant! Ich mochte es noch nie – egal von wem. Nicht, dass ich niemandem zugeneigt wäre. Ich wurde einfach nicht mit dieser Nähe gross. Mittlerweile habe ich mich etwas daran gewöhnt. Vielleicht hat das Ganze auch etwas mit Selbstsicherheit zu tun – viel aber auch mit Gewohnheit. Irgendwie wurde es zu einer Tradition (Tradition im Sinne von: Etwas tun, von dem man nicht unbedingt weiss, warum man es tut, oder weil es alle anderen auch tun). „Man(n?)“ muss einfach „gschpüre“, wann die Begrüssung oder Verabschiedung à la française in Ordnung oder „nache si“. A propos Selbstsicherheit: Man wird selten abgewiesen, wenn man die enstprechende „Position“ einnimmt, d.h. Gesicht seitlich ans andere Gesicht bringt. Überlege mal, wie die Situation aussehen müsste, in der Du es zurückwiesest?