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Schweizer Wohneinheit mit fünf Buchstaben — Was ist ein Flarz?

  • Kreuzworträtsel sind anspruchsvoll!
  • Die Pendler in den Agglo-Zügen stürzen sich jeden Morgen auf die Kästen mit der kostenlosen Minizeitung „20minuten“. Seit neuestem am Abend auf dem Heimweg dann noch ein zweites Mal auf die Spätausgabe von „heute“. Nein, das ist nicht die betuliche Nachrichtensendung im Zweiten Deutschen Fernsehen, einst wegen seiner regierungsfreundlichen Berichtausstattung auch als „Kohls Privatshow“ verunglimpft, sondern eine weitere „Zeitung für Nichtleser“. Die seit dem 15. Mai 2006 erscheinende Gratiszeitung „heute“ wird an Bahnhöfen von „Kolporteuren“ verteilt. Das sind keine schmuddeligen Gestalten, die „Kolportagen“ schreiben, also anrüchige Berichte, denn laut Duden ist eine Kolportage:

    Kolportage […], die; -, -n [frz. colportage, zu: colporter, kolportieren]: 1. literarisch minderwertiger, auf billige Wirkung zielender Bericht
    (Quelle: Duden.de)

    Nein, so heissen die Verteiler der Zeitungen in der Schweiz. Eigentlich ein sehr negativ besetztes Wort:

    Kolporteur […] der; -s, -e aus fr. colporteur „Hausierer“:
    1. jmd., der Gerüchte verbreitet.
    2. (veraltet) jmd., der mit Büchern od. Zeitschriften hausieren geht.
    (Quelle: Duden.de)

    Über die Duden typische Wertung „veraltet“ für einen typisch schweizerischen Begriff sehen wir wie immer gewohnt souverän hinweg. Auch der Blogger Jérome, der heute übrigens Geburtstag hat, fing an als Kolporteur:

    Meine „Promokarriere“, die 2001 als 20-Minuten und Metropol Kolporteur (bei Wind und Wetter: Jé war immer gut gelaunt) in Zug begann – hat gestern ihren wohl vorläufigen Höhepunkt erreicht!
    (Quelle: jeromel.kaywa.ch)

    Doch kehren wir zurück zu „20minuten“ und „heute„, zwei äusserst auflagenstarke Blätter im Schweizer Blätterwald, die besonders auf einer Seite einen besonders hohen Tribut an Verstand und Geistesgabe fordern: Beim Kreuzworträtsel.

  • Tagi und Dagi statt Maggi und Daggi
  • Manchmal schaue ich meinem Banknachbarn in der S-Bahn über die Schulter und lese heimlich mit, welche Frage in den Rätsel gelöst werden müssen: „Singvogel mit fünf Buchstaben, erster Buchstabe ein A“. Hmm, das ist jetzt aber verdammt schwer für einen Stadtmenschen wie mich. Vielleicht „a’Spatz“? Aber das sind ja schon sechs Buchstaben. Dann versuche ich mich wieder im Verstehen meiner Lieblingslektüre, dem „Total Anspruchsvollen Gesamt-Idiotikon“ für die Schweiz. Kurz: Dem „TAGI“, bei dem nur Deutsche auf die Idee kommen könnten, ihn mit zwei „g“ in der Mitte abzukürzen. Merke: Der „Tagi“ schreibt sich nicht wie „Maggi“, also nur mit einem „g„. Eine „Dagmar“ würde in Deutschland zur „Daggi“ und in der Schweiz zur „Dagi“ verkürzt (zum Name siehe hier)

  • Behausung mit fünf Buchstaben
  • Und dort im Tagi stolperten wir auch prompt über ein Wort, das gut in jedes Kreuzworträtsel passen würde. Der „Flarz“

    Aber das Haus hat natürlich auch eine Identität und eine Geschichte, die ein Stück weit einbezogen werden. Es ist ein ehemaliger Flarz aus dem Jahr 1780, der vor 15 Jahren einer grossen Renovation unterzogen wurde.
    (Quelle:Tages-Anzeiger.ch)

    Die Schweiz hat viele alte Gebäude und Haustypen, und als Deutsche stehen wir immer wieder staunend vor alten Fachwerkhäusern, die langsam vor sich hin modern, weil niemand Interesse hat, sie zu renovieren. Es gibt einfach zu viele davon. Oftmals werden sie abgerissen und an gleicher Stelle wird, mit gleicher Dachform und Umfang, etwas Neues gebaut. In Deutschland wurde durch das Bombardement im Zweiten Weltkrieg ein Grossteil der alten Bausubstanz ausradiert. Wer heute durch eine schnuckelige Altstadt wie die von Freiburg im Breisgau läuft, verfällt leicht dem Irrglauben, hier wirklich alte Häuser zu sehen.
    Altes Kaufhaus in Freiburg im Breisgau ist nicht alt
    (Quelle: lpb.bwue.de)
    In Wirklichkeit wurde fast alles mühsam wieder aufgebaut in den Fünfzigern, nur das Münster überstand wie durch ein Wunder den Bombenteppich der Engländer.
    Freiburg nach dem Bombenangriff
    Man muss sich das als Deutscher in jeder Schweizer Altstadt vor Augen halten: Hier ist alles wirklich alt, hier gab es keinen Bombenkrieg, hier wurde nicht alles erst wieder aufgebaut. Wirklich alte Wohnhäuser sind darum in deutschen Städten eine Seltenheit, die sorgsam gepflegt werden und häufig unter speziellem Denkmalschutz stehen, ob sie nun schön anzusehen sind oder nicht.

  • Doch was ist ein Flarz?
  • Wir fanden eine Definition auf Englisch:

    House in “flarz” style
    Three hundred years ago many communities in the Zurich Highlands restricted house construction because of the rapid population growth. They specified exactly how many dwellings were permitted within their municipal borders, or they completely prohibited the construction of new apartments. The crafty highlanders, however, found ways to circumvent such obstacles by dividing up existing houses or by adding extensions to the gable end. The outcome was the row house in “flarz” style – which today is a coveted, romantic dwelling.
    (Quelle: bioengineering.ch)

    Beispiel für ein Flarz
    Flarzhaus in Sternenberg
    (Quelle: sternenberg.ch)

    Das Flarzhaus ist ein so spezielles Haus, dass die Bezeichnung von vielen Schweizern auch nicht gekannt wird. Es sei denn, sie stammen aus dem Zürcher Oberland:

    Das Flarzhaus ist typisch für das Zürcher Oberland: Ein Zürcher Weinbauernhaus am Zürichsee unterscheidet sich vom Flarzhaus des Zürcher Oberlandes. Für eine gezielte Exkursion zur Beobachtung von Haustypen eignet sich das Zürcher Oberland besonders gut. Auf kleinstem geografischem Raum können verschiedene Bauweisen besichtigt werden. Fachwerkhäuser sind in Lützelsee-Hombrechtikon (das Menzihaus und das Hürlimannhaus) und in Lutikon-Hombrechtikon (das reich geschmückte Eglihaus) zu sehen. Das Dürstelerhaus in Ottikon-Gossau und das Guyerhaus in Wermatswil sind Bohlenständerbauten. In Rutschberg-Pfäffikon ist ein so genanntes Flarz-Reihenhaus aus dem 16. Jahrhundert erhalten geblieben
    (Quelle: verlagzkm.ch)

    Heute werden Häuser dieser alten Form des Flarzhauses nachempfunden:
    Häuser im Flarz Stil
    (Quelle: forums9.ch)

    Und weil Sie es ja sowieso wussten: Der Singvogel mit fünf Buchstaben, erster Buchstabe „A“ ist eine „Ammer„, oder was hatten Sie gedacht?

    

    16 Responses to “Schweizer Wohneinheit mit fünf Buchstaben — Was ist ein Flarz?”

    1. peter Says:

      Ammer oder Amsel?

    2. Administrator Says:

      @Peter
      Artikel bis zum Schluss lesen und auf den Ammer-Link klicken, dann weisst Du es!

    3. le marco Says:

      hey cooler blog. mach weiter so! ich habe viel gelacht und nebenbei gelernt. gruzz aus bern, marco

    4. PAX Says:

      nun denn, für mich als ursprünglichen oberländer nichts neues. und wenns denn doch mal kitzelt, vielleicht eine etwas anspruchsvolleres kreuzworträtsel zu lösen, empfehle ich das im tagi-magi oder das der nzz. sicherlich auch für nativ deutsch sprechende menschen eine herausforderung.

    5. widi Says:

      @Administrator
      Mit dem Risiko, jetzt dann gleich dumm dazustehen:
      Ein Singvogel mit 5 Buchstaben beginnend mit einem ‚A‘ kann aber auch eine Amsel sein…
      -> Von da her kann ich die Frage von Peter nachvollziehen…

      Widi

    6. Basil Says:

      Apropos Bausubstanz:
      Der Tagi von heute schreibt: 7% der gesamten Bausubstanz der Stadt Zürich sind beim Denkmalschutz registriert. Renoviert und gekauft werden die Immobilien nicht so gern, dafür aber gern bewohnt (als Mieter, und am liebsten unrenoviert, weil dann so schuckelig („Bijoux im Kreis 5 zu vermieten“).
      Und apropos Dagi statt Daggi:
      Ganz äquivalent ist die CD in CH eine melodiöse „Cehde“, während sie in D eher eine „Cedeh“ ist.
      Und Tschüss

    7. Says:

      🙂 Danke für die Geburtstags-Glückwünsche…
      Zum Glück muss ich schon lange nichts mehr „kolportieren“…

    8. Luise Says:

      @ Basil:
      Das ist im Übrigen nicht nur bei der CD so, sondern bei so ziemlich allen Abkürzungen mit 2 Buchstaben: WC, WM, EM, DB und so weiter und so fort… Eigentlich ja sogar bei fast allen zweisilbigen Wörtern, da liegt die Betonung in D für gewöhnlich auf der 2. Silbe, in der Schweiz jedoch auf der 1.. Eine Ausnahme ist zum Beispiel der April.
      Besonders lustig wird es beim schönen Wort „Salbei“. Da passen sich die Deutschen schonmal den Schweizern an und legen die Betonung auf die 1. Silbe und schwupps! schon machen die Schweizer es wieder andersrum… 😉

      Warum nun allerdings „Cehde” soviel melodiöser sein soll als “Cedeh“, ist mir nicht ganz klar…

    9. PAX Says:

      deshalb kommt ja auch dieses unsägliche sankt moooooritz zu stande.

    10. Dan Says:

      Nur nachzutragen, dass Freiburg davor im Jahr 1940 versehentlich von der deutschen Luftwaffe bombardiert wurde: http://de.wikipedia.org/wiki/Freiburg_im_Breisgau#20._Jahrhundert . Die allierte Bombardierung kam dann im Jahr 1944.

    11. Peter Gloor Says:

      Luise
      April wird oft auf der zweiten Silbe betont, aber früher sagten wir (AG)
      Abere-ue, mit Betonung auf der ersten.
      Als ich nach Zürich kam, nahm ich das hochdeutsche April an.
      Übrigens – weiss das unser deutscher Blogger – wir nannten den Februar „Horner“ (wie Hornung).

    12. Peter Gloor Says:

      PAX
      St. Mooritz ginge ja noch. Aber ich hörte einmal einem deutschen Ehepaar zu, die im Gotthardzug gegenüber sassen, und dann den Stationsnamen so schön Hauchdeutsch ablasen: „Amsteg – Sileeenen“ (wie Sirenen).
      Es geht auch die Legende, dass das welsche Gorgiers-St-Aubin von Deutschen schon mal auf Deutsch wie „Gorgiiir – Staubiin“ gesprochen wird.
      Scuol wird Scu-oool betont, Samedan wie Same-daan, Ennenda im Glarnerland E-nennda, und so weiter. Aber dies gilt auch umgekehrt, wir wissen auch nicht, wie man Soest oder Duisburg ausspricht….

    13. Phipu Says:

      an Peter Gloor

      In Österreich schreibt man sogar „Jänner“, wie wir im Dialekt (zumindest BE und verwandte) oft sagen. Hingegen benützen wir in helvetischem Schriftdeutsch immer „Januar“. Weder Jänner noch Januar kann man allerdings falsch betonen.

    14. Thinkabout Says:

      Welcher Unterschied in der Bausubstanz zwischen deutschen und Schweizer Städten, in der Tat. Auch ich erkenne immer wieder vor allem daran, wie unterschiedlich die Voraussetzungen für die wirtschafltiche Entwicklung der beiden Länder in den letzten fünfzig Jahren waren…
      Eine positive Folge des Wiederaufbauens: Es können Innenstädte, die bei uns Altstädte sind, geplant werden. Z.B. sinnvolle Fussgängerzonen…

    15. Paul Märki Says:

      Lieber Herr Wiese,
      den Begriff Flarzhaus kenne ich bestens. Ich spreche aber „von einem Flarz“, also Maskulinum. Wenn dies der in der Schweiz übliche Sprachgebrauch ist, sollte es auf Ihrer Webseite http://images.google.ch/imgres?imgurl=http://www.forums9.ch/ausflug/S26/freddi1/thumb/P1010020.jpg&imgrefurl=http://www.blogwiese.ch/archives/290&h=120&w=160&sz=10&hl=de&start=15&um=1&tbnid=zRwJlyButupTDM:&tbnh=74&tbnw=98&prev=/images%3Fq%3DLutikon%26as_st%3Dy%26svnum%3D10%26um%3D1%26hl%3Dde%26safe%3Doff%26sa%3DG
      oben an der Abbildung nicht heissen „Beispiel für ein Flarz“, sondern „Beispiel für einen Flarz“. Oder – wenn auch Sie nicht sicher sind, könnten Sie die Klippe umgehen mit dem Text „Beispiel für ein Flarzhaus“.
      Nun, beim Schreiben wird es mir bewusst: Mit Flarz meint man das Dach. Man sagt zum Beispiel ein Haus mit einem Flarzdach, oder auch ein Flarzhaus.
      Herzliche Grüsse Paul Märki

    16. Karl Stengel Says:

      Lieber Herr Wiese, liebe Blogger,

      ich vermiete ein schönes Flarzhaus in Stäfa (4.5 Zimmer, Reihen-EFH). Das 1700 erbaute Haus liegt im malerischen Weiler Uelikon in Stäfa. Es hat Seesicht und wurde letztes Jahr renoviert.
      Über allfällige Angebote würde ich mich sehr freuen. Gerne zeige ich Ihnen das Haus auch persönlich.

      Freundliche Grüsse,
      Karl Stengel

      P.S. Weitere Infos und Bilder: http://www.homegate.ch/homegate/de/immobilien/miete/wohnung/bezirk/meilen?surfaceFrom=&fromItem=ctn-zh&aa=RentFlat&roomsTo=&objectType=&l=default&roomsFrom=&rentFrom=&a=default&surfaceTo=&rentTo=&city=St%C3%A4fa&ei=1&l=default&a=default