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Die Magie der höflichen Indirektheit — Nicole M. über die Kunst der Schweizerischen Kommunikation

(reload vom 24.05.07)

  • Wenn die Codizes nicht stimmen
  • Die Schweizerin Nicole M. beschreibt im Tages-Anzeiger, wie es ist, in der Schweiz mit einem Kopftuch unterwegs zu sein. Sie kam auf diese „Under-Cover-Kopftuch“ Aktion durch ein Erlebnis, dass ihr widerfuhr, als sie einen kurdischen Freund bei der Semester-Einschreibung an die Uni begleitet:

    Wir werden vorgelassen, mein Freund bringt sein Anliegen vor. In einem nicht ganz korrekten, aber mühelos verständlichen Satz. Die Dame am Schalter schüttelt nur den Kopf. Mit einer Bestimmtheit, die ich ihr gar nicht zugetraut hätte, sagt sie: «Nein, das geht nicht, auf keinen Fall, da kann man gar nichts machen.» Mein Freund zuckt mit den Schultern und wendet sich ab, ist an solche diskussionslosen Absagen gewöhnt.
    (Quelle: Dieses und alle weitere Zitate stammt aus dem Tages-Anzeiger vom 21.05.07, S. 20)

    Hier lief offensichtlich etwas falsch in der Kommunikation zwischen dem Kurden und der Schweizer Dame am Schalter. Codizes wurden nicht eingehalten, Gesprächsregeln verletzt. Das beschreibt Nicole M. im Folgenden sehr präzise und mit exakter Beobachtungsgabe, denn für Schweizer sind diese Dinge nicht leicht wahrzunehmen, weil sie so selbstverständlich sind im Alltag:

    Einkauf mit Kopftuch
    (Quelle Foto: Tages-Anzeiger vom 21.05.07 Foto von Thomas Burla)

    Nun wende ich mich der Dame zu und wiederhole, was mein Freund gesagt hat. Wiederhole nur, sage den gleichen Satz wie er, sage ihn aber auf Schweizerdeutsch und makellos, geschminkt mit ein paar Höflichkeitsfloskeln, in gutschweizerischer Indirektheit. Man sagt «Könnte ich vielleicht» (mit Betonung auf vielleicht, obwohl man gar nicht vielleicht meint, sondern unbedingt), man sagt «Meinen Sie, es wäre möglich» (obwohl einen die Meinung des anderen nicht im Geringsten interessiert), statt «Kann ich» oder «Können Sie bitte» (wobei es egal ist, ob das bitte fehlt, denn bereits die Verwendung des Indikativs an Stelle des Konjunktivs gilt als unhöflich). Dazu macht man, gutschweizerisch, ein verlegen verkniffenes Gesicht, zeigt die Zähne als Zeichen der Zerknirschung, atmet zischend ein und wiegt voller Zweifel und Scham den Kopf hin und her. Ansonsten aber: das gleiche Anliegen, der gleiche Satz.

    Jeder Sprachwissenschaftler hätte seine Freude an dieser Beschreibung, wenn die Situation nicht alles andere als lustig wäre:

  • Es gibt Signale, die eine bestimmte Haltung hervorrufen
  • Und plötzlich hellt sich das Gesicht der Dame auf, sie sagt «Aha!», als ob sie erst jetzt verstanden hätte, worum es geht, sagt «Ach so!» und winkt meinen Freund zurück, und plötzlich klappt alles reibungslos, plötzlich ist alles gar kein Problem mehr, eine kleine Formalität. Ich merke: Es gibt Signale, die eine bestimmte Haltung hervorrufen, einen bestimmten Umgangston. Es gibt Schlussfolgerungen: X spricht kein korrektes Deutsch, ergo ist er mir intellektuell unterlegen, denn ich spreche korrektes Deutsch (zumindest Schweizerdeutsch). X ist mir unterlegen, ergo stellt er dreiste Forderungen und versucht, mich zu überlisten und den Schweizer Staat (dessen Repräsentantin ich bin) zu untergraben, denn er muss seine Unterlegenheit irgendwie ausgleichen.

    Ich bewundere Nicole für ihre Coolness und Perfektion, mit der sie in dieser Situation „Kreide gefressen“ hat, um das Ziel für ihren kurdischen Freund erfolgreich zu erreichen. Die richtigen Regeln der Kommunikation zu beherrschen ist auf jeden Fall ein grosser Pluspunkt im Leben, nicht nur in der Schweiz. Dies als kleiner Tip an alle Schweizer, die schon „Ich krieg noch ein Bier“ brüllen üben, wenn sie noch nicht ganz über die Deutsche Grenze gefahren sind.

  • Die Regeln der höflichen Indirektheit
  • Ergo (merke ich): Es gibt Signale, die die Schlussfähigkeit beeinträchtigen. Denn es heisst (fälschlicherweise) nicht: X spricht kein korrektes Deutsch, ergo sollte ich ihn nicht voreilig als unhöflich und dreist betrachten, denn er ist wahrscheinlich mit unseren sprachlichen Regeln der höflichen Indirektheit nicht vertraut und formuliert sein Anliegen deshalb (für mein Schweizer Ohr) zu direkt. Es heisst nicht: X spricht zwar nicht korrekt, aber doch ziemlich verständlich Deutsch, ergo ist er mir intellektuell möglicherweise sogar überlegen, denn ich spreche weder korrekt noch verständlich Türkisch, Serbisch, Kroatisch, Arabisch.

    Besonders peinlich wird es, wenn jemand anfängt, lauter zu sprechen, weil er glaubt, damit besser verstanden zu werden. Mal darf jetzt bloss nicht glauben, dass nur die Schweizer diese Art der Kommunikation pflegen. In den wenigsten Ländern der Welt wird man schnell ans Ziel kommen, wenn man dreist und direkt heraus artikuliert, was Sache ist und was man gern hätte, auch nicht in Deutschland.

  • Sarkasmus hilft nicht weiter (macht aber Spass)
  • Machtmenschen und verstockte Angestellte, die umschmeichelt werden möchten, gibt es sicher auch anderswo. Versteckter oder offen zur Schau getragener Rassimus und Überheblichkeit ebenfalls. Mir passiert es in solchen Situationen oft, dass ich, anstatt das Höflichkeitsspiel mitzuspielen, trocken sarkastisch reagiere, was der Sache nicht immer ganz zuträglich sein mag. Ein Satz wie „Oh, ich wollte eigentlich nur gern ein bisschen Geld ausgeben, kann mir jemand helfen?“ in einem Geschäft, in dem offensichtlich kein Interesse am Kunden besteht, wirkt nicht immer produktiv. In einem Schweizer Hotel sollte ich neulich meinen Wohnort in den Meldeschein eintragen und war drauf und dran in Versuchung „Ausbildungslager Al-Qaida, Pakistan“ hinzuschreiben, nur um zu sehen, ob das überhaupt jemand liest. Aber man sollte als Gast im Land lieber brav und höflich alle Riten mitspielen, um nicht anzuecken.

    

    4 Responses to “Die Magie der höflichen Indirektheit — Nicole M. über die Kunst der Schweizerischen Kommunikation”

    1. tom Says:

      Interessant wäre ja, zu erfahren, wie die Reaktion der „Schweizer Dame am Schalter“ aussähe, stellte man sein Gesuch in bundesdeutschem Standarddeutsch, aber unter Verwendung der entsprechenden schweizerischen Höflichkeitsformeln?!

      Wäre die Irritation größer oder kleiner?

    2. Tamiflu Says:

      Also, ich finde es immer wieder erschreckend! Ich ziehe kommenden Monat zu meinem Verlobten nach Winterthur und werde auch in der Schweiz studieren. Darauf freue ich mich zwar, aber es jagt mir auch eine enorme Angst ein! Was kommt da auf mich zu?!? Wie wird der Hochschulalltag aussehen für eine „arrogante Dütsche“? Auf einigen Familientreffen durfte ich die Art wie manche Schweizer mit Ausländern umgehen am eigenen Leib erfahren. Zum Beispiel, wenn ich in stinknormalem, akzentfreiem Hochdeutsch spreche und man so tut als ob man kein Wort verstünde, obwohl die meisten schweizer Radio- und Fernsehsender ja in Hochdeutsch ihre Nachrichten verkünden, die dann komischerweise jeder Schweizer verstehen kann. Oder, wenn man mir erzählt, wie unverschämt es ist, dass man als schweizer Krankenschwester nur von deutschen Ärzten und Pflegern umgeben wird! Sagt mal, hab ich diese Leute eingestellt??? Wäre es nicht klüger, die Menschen, die Ausländer bevorzugt einstellen zu verachten als pauschal JEDEN Deutschen als potentielle Gefahr wahrzunehmen? Ich würde ja lachen, wenn JEDER Ausländer in der Schweiz für eine Woche seine Arbeit niederlegen würde. Bin gespannt, was mit dem System dann passieren würde. Da spricht einfach die Angst aus mir. Ich fürchte mich davor was auf mich zukommt. Ich komme nicht als Steuerflüchtling oder Schmarotzer in die Schweiz, nicht wegen der hohen Löhne und auch nicht, weil ich meine eigene Heimat nicht mag, sondern nur wegen meines Verlobten, der einen tollen Job hat und dem ich nicht zumuten will alles meinetwegen aufzugeben. Ich harre der Dinge die da kommen mögen. Voller Angst.

    3. Phipu Says:

      An Tamiflu

      Schön, kommst du in die Schweiz. Angst ist sicher nicht der beste Ratgeber für ein Leben hier. Aber offene Ohren, wache Augen und etwas Sensibilität können helfen. So ist es ein grosser Vorteil, das Land dort im Süden ennet dem Rhein nicht einfach als weiteres Bundesland sondern als eigenständiges Land zu betrachten, in dem vieles anders abläuft als in Deutschland. Bereits wurde die Indirektheit erwähnt. Aber vor allem die Unmöglichkeit, Höflichkeitsformeln wegzulassen, führen zu Verkaufsgesprächen, die nicht mit „Einmal zwei Kaffee und zwei Cremeschnitten!“ oder mit „Ich krieg einen Kaffee!“ beginnen können, sondern mit „Grüezi, ich hätte gerne zwei Kaffee und zwei Cremeschnitten, bitte“. Und ein allfälliges Fragen nach dem Weg heisst nicht „zum Bahnhof?“, sondern „Entschuldigung, können Sie mir bitte sagen, wo der Bahnhof ist?“. Innert kurzer Zeit der Akklimatisierung hast du so dann die als Arroganz empfundenen deutschen Gewohnheiten abgelegt.

      Du wirst dabei auch feststellen, dass der Prozentsatz an Deppen, die man am besten meidet, und der an umgänglichen Personen in beiden betroffenen Ländern etwa gleich hoch liegt (Du schreibst ja selber: „manche“).

      Deutsches Hochdeutsch nicht zu verstehen ist unter der jüngeren Generation eher selten. Schliesslich schauen die auch oft Fernsehsender aus dem grossen Kanton und erweitern sich so passiv ihren deutschlanddeutschen Wortschatz. Die wissen sogar z.B. was parken, grillen, Krankenhaus, Keks, Hubschrauber, Schornstein, Eisbecher, Frisör, Reisebus oder Fleischer bedeutet, obwohl diese Wörter weder im Dialekt noch im Schweizer Hochdeutsch (z.B. am hiesigen Radio) vorkommen.

      Zur Vorbereitung kannst du schon mal das Archiv der Blogwiese durchlesen. Nimmt mich Wunder, ob du dann nicht schon Ende Jahr kaum mehr Schwierigkeiten antriffst. Und vielleicht schadet es auch nicht, mal die umgekehrte Brille aufzusetzen. Deutschland aus Sicht eines Schweizers anzusehen: http://heidiswelt.blogspot.com/ . Leider ist dieser Blog gestoppt, aber die Artikel haben auch heuer noch Gültigkeit.

      Und falls du jetzt noch Schwierigkeiten hast, mein nicht ganz unabsichtlich helvetisch geprägtes Deutsch zu verstehen, empfehle ich dir, wie angetönt, die Blogwiese genau durchzulesen, aber auch hier mal hineinzuschauen: http://de.wikipedia.org/wiki/Helvetismus .

    4. Chrisbo Says:

      Aber man sollte als Gast im Land lieber brav und höflich alle Riten mitspielen, um nicht anzuecken.

      Man muss kein dressierter Dackel werden, um mit einem Hund kommunizieren zu können. Konfliktpotential gibt es überal und erschöpft sich nicht in oberflächlicher Sinnlosigkeit.

      Versteckter oder offen zur Schau getragener Rassimus und Überheblichkeit ebenfalls.

      Rassismus ist das falsche Wort, es handelt sich vielmehr um manifestierte Klischees.