Hat Hochdeutsch kein Gemüt? — Lustvoll tänzerisches imitiertes Hochdeutsch
(reload vom 16.8.06)
Wir lasen in einem auf Hochdeutsch geführten Interview mit dem Publizisten Ludwig Hasler in der NZZ am Sonntag auf diese Frage:
Im Alltäglichen hat die Mundart mehr Herz, Musik und Rhythmus. Das liegt aber nicht an ihr, sondern an der Vernachlässigung der Hochsprache. Hören Sie achtjährigen Kindern zu, die sind dreisprachig. Erstens Schwyzerdütsch, zweitens Hochdeutsch, wie sie es vom Fernsehen imitieren — lustvoll, tänzerisch. Und dann haben sie eine dritte Sprache: das Hochdeutsch der Schule — stümperhaft, mechanisch, ohne Rhythmus und Melodie. Die Lehrpersonen mögen diese Sprache nicht. Sie sprechen ein Hochdeutsch, das können sie selbst nicht hören. Das ist seelenlos, ist Unterrichts-, Prüf- und Quäl-Sprache. Sobald sie sich einem Schüler zuwenden, wechseln sie auf Mundart. Diese Botschaft ist überdeutlich; jetzt geht es ums Persönliche, und da ist die Mundart zuständig.
(Quelle: NZZ am Sonntag, 06.07.06, S. 69)
Ludwig Hasler
(Quelle Foto: marketing.ch)
Wir können diese Aussage nur bestätigen aus eigener Beobachtung. Hochdeutsch muss für viele Schweizer im Laufe der Schulzeit zu einer traumatischen Veranstaltung geworden sein. „Prüf- und Quäl-Sprache“ hört sich böse an, aber da ist was sehr Wahres dran. Vielleicht tröstet es zu wissen, dass auch in Frankreich die Deutsche Sprache mehr und mehr zu einer „Elitesprache“ degradiert wurde, die neben Mathematik und Latein bzw. Altgriechisch lediglich noch die Funktion innehalt, beim erbarmungslosen Selektionsverfahren aus den Besten die Besten herauszufiltern, die sich anschliessend auf staatliche Kosten an einer der französischen Eliteuniversitäten (Les Grandes Ecoles) tummeln dürfen, wie z. B. der ENA.
Hasler hat auch einen Vorschlag, wie man die Situation an den Schulen bessern könnte:
Das könnten Lehrpersonen ändern. Vielleicht indem sie ab und zu einen Monat nur Hochdeutsch sprechen. Auch im Lehrerzimmer, wo hoffentlich Emotionen hochkommen. Eine Sprache beginnt erst zu lieben, wer sie sich zu Eigen macht, sie verführt, herausfordert.
Wir möchten fortführen: Wer in ihr flucht, klagt, singt, lacht, schmust, streichelt und rappt.
August 27th, 2009 at 9:56
Hochdeutsch kann keine Emotionen transportieren?
Ich empfehle Francois Villon, „Lass mich küssen deinen Erdbeermund“, rezitiert vom unvergesslichen Klaus Kinski.
Ich bin selbst Dialektsprecher im Alltag, das hat mit meiner Bodenständigkeit zu tun. Allerdings werden Emotionen in erster Linie doch wohl durch Temperament, nicht durch die Wahl der Sprache transportiert.
August 27th, 2009 at 12:55
@Volker,
das halte ich auch für eine Schutzbehauptung von Literaturscheuen. Mein Gott, wer auch bloß eine klassische Gymnasialbildung nebst entsprechender Literatur genossen hat kann nicht ernstlich behaupten dass das Hochdeutsche keine großen Emotionen transportieren könne.
Oder man lese auch nur volkstümlicheres wie Schillers „An die Freude“, was ja sogar zum Gesangstext für Beethovens 9. und damit zur Europahymne wurde.
Freilich wird auch wieder deutlich wieviel volkstümliches Kulturgut verloren geht, und wohl einfach mangels Bekanntheit der deutschen Sprache diese Ausdrucksstärke gar nicht mehr zugetraut wird. Wer kennt denn noch den Text von „Die Gedanken sind frei“?
Ich nutze die Gelegenheit mal wieder an dieses, wie ich finde schönste, deutsche Volkslied zu erinnern:
Die Gedanken sind frei
Wer kann sie erraten?
Sie rauschen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schießen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!
Ich denke was ich will
Und was mich beglücket,
Doch alles in der Still
Und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
Kann niemand verwehren.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!
Und sperrt man mich ein
Im finsteren Kerker,
Das alles sind rein
Vergebliche Werke;
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei.
August 27th, 2009 at 16:30
Ich finde es lustig, dass ausgerechnet ein Schweizer(?) sich über das Hochdeutsch negativ auslässt.
Die kratzenden Halslaute des Schwyzerdütsch sind nun mal auch nicht unbedingt jedermanns Sache. Aber das macht die Welt bunt – es sei denn, man kann nur Brauntöne wahrnehmen.
August 27th, 2009 at 21:29
Man kann jede schwachsinnige Benennung wie z. B. „Swiss Quality“ noch steigern: In „Swissness“.
August 28th, 2009 at 10:42
@Ein Zuercher:
„Und was soll dieses doofe Gedicht? « (… ) Doch alles in der Still. Und wie es sich schicket. ( … ) » Das koennte auch ein Nordkoreaner geschrieben haben.“
Naja, für Ironie braucht man freilich ein Gespür. Damals herrschte die Zensur, und „offener Widerstand“ war lebengefährlich (befassen Sie sich mal mit Autoren wie Georg Büchner und dessen Biographie), dieses Lied war nicht zuletzt ein politisches Protestlied. Zur damaligen Zeit nannte man das was man heute Meinungs- und Redefreiheit nennt zudem „Gedankenfreiheit“ (das umfasste zB auch freie Religionsausübung). Jeder wusste freilich dass diese Zeile ironisch gemeint war.
Das hatte zudem große politische Brisanz. Denn was heute gerne vergessen wird, es gab im jungen Deutschland (was ja eine Kopfgeburt des 19. Jahrhundert ist) eine große liberale und demokratische Bewegung. Die wurde aber von den Österreichern (Metternich) und den Preußen (später vor allem auch Bismarck) dermaßen in die Zange genommen dass die Stimmung binnen weniger Jahre massiv umschlug, die Preußen haben sogar das erste deutsche Parlament in der frankfurter Paulskirche mit Gewalt auseinandergetrieben. Die Parlamentarier sind dann nach Süddeutschland geflüchtet, vor allem in’s heutige Baden-Württemberg, und wurden auch dort aufgespürt und „zur Strecke gebracht“. Von diesem Schock haben sich die Demokraten in Deutschland lange nicht mehr erholt, was auch daran liegt dass es kein „Zentrum“ gibt (wie Paris in Frankreich oder London in England) was man „einnehmen“ kann um eine Revolution anzuzetteln. Dafür gab und gibt es zuviele politische und wirtschaftliche Machtzentren in Deutschland.
In der Bayrischen Verfassung von 1808 hieß es unter anderem:
„§7 Der Staat gewährt allen Staatsbürgern Sicherheit der Person und des Eigenthums – vollkommene Gewissensfreiheit – Preßfreiheit nach dem Censuredict vom 13. Juni 1803 und den wegen der politischen Zeitschriften am 6. Sept. 1799 und 17. Febr. 1806 erlassenen Verordnungen.“
Es wurden also Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Sicherheit und Eigentum vom Staat zum ersten Mal in der deutschen Geschichte – sogar in einer Verfassung – gewährt.
Außerdem wurde damals, wie man es heute nennt, „Rechtsstaat“ eingeführt (mit Gerichten und einem Instanzenweg an die sich jeder Bürger wenden kann), auch wurde die Leibeigenschaft aufgehoben. Kurz gesagt, daraus hätte eine moderne Demokratie werden können. Die Amerikaner waren auch kaum früher dran, erst 1776.
Das wurde von Metternichs Restauration, also den Österreichern, aber sukzessive wieder bekämpft und eingeschränkt. Bis dann die Preußen die Macht im Deutschen Reich an sich gerißen haben – nach dem die Österreicher das Reich bereits (heute würde man sagen) „gleichgeschaltet“ haben. Dann wurde Österreich, als einziger für Preußen gefährliche Gegenspieler im Reich, aus dem Reich gedrängt und Preußen übernahm die Macht und führte die reaktionäre Politik fort. Es hat dann über 100 Jahre gebraucht bis es wieder solche weitreichenden Bürgerrechte wie in der Bayrischen Verfassung von 1808 gab.
August 28th, 2009 at 11:03
Da schillert aber ein gewaltiger Minderwertigkeitskomplex durch. Schon blöd, wenn man so neiderfüllt auf den großen Kanton starrt. Demnächst wird uns noch jemand erklären, dass Goethe ein Schreiberling dritter Rangordnung war. Zu viel Trollinger genossen beim Besuch im Badischen?
August 28th, 2009 at 13:14
@ Volker und @ Ric
mit dem Zuercher ist das hoffnungslos. Ihr könnt genausogut mit ner Wand oder einer Strassenlaterne (der geht wenigstens gelegentlich mal ein Licht auf) reden. Ausser plakativen Sprüchen, Schubladisierungen kommt da nichts und für gute Satire fehlt ihm die Substanz und erforderliches Wissen.
Einzig bemerkenswert: Sein letzter obiger Comment, der sich für die Abschaffung der besten Armee der Welt stark macht.
August 28th, 2009 at 18:14
Deutschschweizer, die die deutsche Standardsprache nicht mögen, verwenden sie im Allgemeinen nicht. Sie verzichten u.a. freiwillig auf gute Bücher, Filme, Gespräche etc. und schreiben höchstens auf SMS-Niveau. So weit, so schlecht.
Nun gibt es aber Eidgenossen, die diese Sprache abgrundtief hassen und sich bemüssigt fühlen, dies allen, die es nicht wissen wollen, ad nauseam unter die Nase zu reiben. Zu diesem Zwecke muten sie den Mitmenschen riesige Mengen von Buchstaben zu – ausgerechnet in dieser schlechtesten aller Sprachen. Ein Teufelskreis; was für ein ein tragisches, auswegloses Schicksal!
Ich schlage vor, dass solche Leute entweder schweigen, eine Fremdsprache verwenden oder sich an Dignitas wenden, um ihrem unheilbaren Leiden ein Ende zu setzen.
August 29th, 2009 at 0:58
@zürcher
jaja schweizerdeutsch ist natürlich ein akustischer Gaumenschmaus
und Schwedinnen sind für ihre sexy Aussprache weltbekannt…!
August 29th, 2009 at 9:59
Goethe ein Lokalmatador, der im Rest der Welt keine Bedeutung hat – danke für das Gespräch. Und jetzt schnell zurück ins Heim …
Wenn noch irgend jemand Zweifel daran hatte, dass es sich beim Zuercher um einen Troll handelt, hat dieser debile Kampfschweizer und Deutschenhasser jetzt wohl alle Zweifel ausgeräumt.
August 29th, 2009 at 18:09
Wir Schweizer-Eltern haben unseren Kindern Geschichten sowohl auf Hochdeutsch als auch auf Berndeutsch erzählt. Mein Mann hat dabei den Originaltext, also Hochdeutsch genommen und ich habe den Text immer gleich in den Dialekt übersetzt. Wir haben das nicht abgesprochen, es hat sich so ergeben. Ich bin ja selbst als vierjähriges Kind vom Fürstentum Liechtenstein eingewandert und habe dann immer für meine Eltern übersetzt, damit die verstanden wurden. Es bereitet mir unheimlich Mühe, mit einem hochdeutschsprechenden Menschen nicht Hochdeutsch zu sprechen. Ich passe mich sofort an. Bin sozusagen ein sprachliches Chamäleon. Ich bin jetzt seit 30 Jahren Schweizerin, aber bei Schulbesuchen werde ich immer zur Ausländerin. Ich kann es einfach nicht verstehen, wenn nicht Hochdeutsch mit den fremdsprachigen Kindern gesprochen wird, obwohl es im Kanton Bern ja mittlerweile Pflicht für Lehrpersonen ist, Hochdeutsch im Unterricht zu sprechen.
August 30th, 2009 at 11:53
@Karin:
Das kann ich gut verstehen.
Ohne Schleichwerbung machen zu wollen, das Buch hier hab‘ ich schon hergeschenkt und es kam sehr gut beim kleinen Leser an:
http://www.amazon.de/Woa%C3%9Ft-ibahapts-wia-gern-dass/dp/3794150538/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1251625957&sr=8-1
August 30th, 2009 at 13:46
@ Volker
«Debiler Kampfschweizer» ist nicht schlecht. Diese Bewegung hat viele Namen; ich nenne sie Eidgenazis.
(Bitte nicht laut lesen und nicht weitersagen; die folgende Information ist geheim: Der Troll ist tatsächlich «vesoorget», wie wir das auf Hochalemannisch nennen. Und zwar in der geschlossenen Abteilung.)