Wer mag schon die Deutschen in der Schweiz?
(reload vom 31.05.06)
Die Frage stellte mir auch Patrick Rohr in der Sendung QUER. Eine Antwort blieb ich ihm schuldig. Tatsächlich lässt sich das ewige Gerede von den „ungeliebten Nachbarn“ im Einzelfall nicht durch persönliche Erlebnisse belegen. Wenn überhaupt, ist es eine sehr „unterschwellige“ und versteckte Art der Ausgrenzung. Wenn unsere Tochter in der Primarschule vom Lehrer gesagt bekam, sie möge nicht mehr „Guten Tag“ sondern „Grüezi“ am Morgen sagen, ist das dann schon eine deutschfeindliche Behandlung und Ausgrenzung?
Einen ganz anderen Bericht über einen Deutschen im Oberwallis lasen wir in der NZZ vom 6.4.06
Umgekehrt fühlen sich die Deutschen in der Schweiz von den Schweizern, die sie angeblich nicht mögen, keineswegs marginalisiert oder gar fremdenfeindlich behandelt. Nicht einmal Deutsche, die sich in Regionen vorwagen, die auch für Deutschschweizer aus anderen Kantonen als schwieriges Terrain gelten, wissen von xenophoben Attacken zu berichten. Im Gegenteil: Ulrich Keuth, der seit 1999 bei der Lonza arbeitet – nicht etwa am Hauptsitz im grenznahen Basel, sondern in dem von Bergen eingeschlossenen Visp -, fühlt sich wohl in seiner schweizerischen Wahlheimat. Er ist direkt nach dem Studium im Saarland nach Visp gekommen und meint, dass er wohl solche Möglichkeiten in Deutschland kaum erhalten hätte. Heute leitet der Chemiker eine für die Qualitätskontrolle zuständige Abteilung. Überraschend war jedoch nicht nur, dass ihm rasch Verantwortung übertragen wurde, sondern auch der lockere Umgangston am Walliser Standort. Anders, als es Keuth aus Deutschland kennt, verzichtet man im Oberwallis auf Förmlichkeiten, trägt nur in Ausnahmefällen eine Krawatte und duzt sich in der Regel.
Das schnelle Duzen ist eine Erfahrung, die Deutsche in der Schweiz im Berufsleben sehr rasch machen. Darüber wurde uns häufig berichtet. Erinnern wir uns an unsere Erlebnisse in der Industrie in Deutschland, so fallen uns zahlreiche Situationen ein, in denen das Duzen („Duzis-machen“ sagen die Schweizer dazu) absolut nicht selbstverständlich war. Sogar unter Gleichaltrigen dauerte es mitunter Wochen, bis man zum Du überging. Die Deutschen sind in dieser Hinsicht wirklich um einiges steifer und förmlicher. Lehrer, Pfarrer oder Ärzte, auch wenn man sie noch so lange und persönlich kennt, würde man niemals duzen in Deutschland. Der klassische „Dünkel“ lebt irgendwie weiter. Eine Ausnahme bilden hier nur die Universitäten, wo sich die Studenten untereinander immer geduzt haben.
(Foto: Eingang Universität Freiburg im Breisgau)
Aber auch hier bleibt die Distanz zum Professor, zum Seminarleiter oder Studienrat immer schön mit einem „Sie“ gewahrt.
Unser Altbundeskanzler Helmut Kohl hingegen war dafür bekannt, dass er sich mit allen duzte. Das System Kohl funktionierte über enge Duzfreundschaften und Beziehungen. Auch zum damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan soll er gesagt haben: „You may say you to me!“, und schon waren die beiden beim Du. Ist doch prima, für was gute Fremdsprachenkenntnisse alles nützlich sind. Kohl kann als gebürtiger Pfälzer keine Fremdsprachen ausser Hochdeutsch. Das Englischsprechen überliess er lieber seiner Frau Hannelore, denn die war gelernte Dolmetscherin.
Helmut Kohl, Ronald Reagan und Eberhard Diepgen blicken nach Ost-Berlin, 12.6.1987.
Der viereckige Rahmen im Hintergrund enthält Panzerglas, damit kein Scharfschütze aus dem Osten mal kurz den „imperialistischen Erzfeind“ abknallen konnte.
[Quelle: Bundespresseamt (5673); Foto: Engelbert Reineke]
In Frankreich erlebten wir noch die hübsche Variante, schnell mit dem Vornamen angesprochen zu werden, und dann mit „Vous“ weiter. In deutschen Gymnasium gehört es zum guten Stil der Lehrer, die Schüler der Oberstufe explizit zu siezen, wenn sie volljährig sind, und ihnen so zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl zu vermitteln, als Erwachsene zu gelten und behandelt zu werden. Auch hier in der Variante: Vorname und Sie. Nachnamen in der Schule zu gebrauchen kommt auch vor, wenn der Lehrer ein alter Kommiskopp ist und dies noch aus K.u.K. Zeiten kennt. Diese Sorte Lehrer sollte aber schon so gut wie ausgestorben sein.
Der nächste Satz aus der NZZ machte uns dann aber stutzig. Liegt das Wallis eigentlich überhaupt in der Schweiz? Denn wir lesen:
Auch der Walliser Humor und die Walliser Art, Dinge ohne Umschweife anzusprechen, waren gewöhnungsbedürftig.
Ist nicht Patrick Rohr aus dem Wallis? Zumindest hat er dort ab dem 14. Lebensjahr gelebt. Den Humor dort können wir schlecht beurteilen, aber „Dinge ohne Umschweife anzusprechen“, das haben wir über die Schweizer bisher so noch nicht gelesen. Es war bisher immer die Fähigkeit zum Konsens, das diplomatische Lavieren, das geschickte Taktieren, mit dem sich Schweizer selbst charakterisierten oder von anderen beschrieben wurden, niemals die „direkte Art“. Wunderbar, dass das ausgerechnet im Wallis geschätzt wird. Aber dieser Kanton muss sowieso irgendwie „special“ sein, so halb französisch und hinter hohen Bergen versteckt.
Mai 29th, 2009 at 14:16
„Wenn unsere Tochter in der Primarschule vom Lehrer gesagt bekam, sie möge nicht mehr “Guten Tag” sondern “Grüezi” am Morgen sagen, ist das dann schon eine deutschfeindliche Behandlung und Ausgrenzung?“
Es ist affig und engstirnig. Ich würde nie jemandem sein „Moin“ oder „Tach“ verbieten oder auch nur daran herum-mäkeln. Da ist einfach lächerlich.
„You may say you to me!“, und schon waren die beiden beim Du.
Eigentlich waren sie beim Sie, denn die englische Übersetzung von du lautet „thou“. Was aber im modernen Englisch nur noch in Bibeltexten oder Texten von Shakespeare in Gebrauch ist. Briten sprechen zudem von der „stiff upper lip“ als Lebenseinstellung. Sind wir schon wieder bei „Deutschland-Pauschalisierungen“?
Stellen Sie einen Rheinländer und einen Berliner nebeneinander und dann sagen sie noch einmal es gäbe ein bestimmtes typisch deutsches Temperament bezüglich Distanz/Nähe. Ich lach‘ jetzt schon.
Mai 30th, 2009 at 15:30
Krawatte ja oder nein hängt m. E. eher mit der Branche zusammen als mit dem Land, in dem man arbeitet. In der Beratungsfirma, in der ich über zweieinhalb Jahre in der Schweiz tätig war, legte der Chef, ein waschechter Schweizer, sehr viel Wert auf das Äußere. Kam man als Frau in flachen Schuhen und nur leicht geschminkt, musste man missbilligende Blicke in Kauf nehmen.
Juni 2nd, 2009 at 22:31
@ Zuercher
gähn schnarch chhhh har har ratz , bitte die Bartwickelmaschine in deinem Keller abstellen Opi
und bezüglich jämmerlich – einfach nur in den Spiegel schauen – richtig Definition gefunden
Juni 6th, 2009 at 8:04
ich für meinen teil kann nur sagen:
„ich mag das einfache, unkomplizierte
„du“ in der schweiz.“
in dtl geht es mir immer auf die nüsse
überlegen zu müssen: „kann ich ihn/sie jetz
duzen, oder gehört sich das (noch) nicht?“
zwar habe ich ein problem damit wenn mich
ein junger spunt anspricht mit:
„eh du, hast du mal…/ kannst du mal…“
aber, erstens passiert das genausogut in dtl
und zweitens sind diese situationen so selten,
das die einfachheit des umganges miteinander
solche ärgernisse locker aufwiegt.
was mir allerdings aufgefallen ist, auch wenn
man sich in ch sofort duzt, was ja eine
(für meine begriffe) freundschaftliche und
vertrauensvolle atmosphäre schafft,
fehlt der (morgentliche) handschlag zur
begrüssung.
wenn ich zu jemandem hingehe und ihm die
hand reiche, finde ich das immernoch persönlicher
als ein „winken“ auf 3m distanz und einem
fröhlichen „morgääää“!