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Wenn die Nacht einmal frei hat — Was ist eine Freinacht in der Schweiz und in Deutschland?

(reload vom 23.4.06)

  • Wenn die Nacht einmal frei hat — Was ist eine „Freinacht“?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 15.04.06 auf der Titelseite

    Lugano zum 7. Mal grande
    Wer über Ostern ins Tessin gefahren ist, durfte zumindest in Lugano den Freitag mit einer Freinacht beginnen: Der Hockey-Club wurde zum 7. Mal Meister, er bezwang Davos (…)

    Freinacht in Lugano

    So gab es also in Lugano vor Ostern im Anschluss an den Frei-tag eine Frei-nacht? Der Freitag vor Ostern war sowieso frei, weil es ein Karfreitag war. Mit einer der höchsten Feiertage der Christenheit, an denen vor ein paar Jahrzehnten noch in Deutschland die Kinos und Diskotheken „für einmal“ geschlossen blieben, und an dem auch der grösste Atheist oder Agnostiker kein Fleisch sondern Fisch ass.

    Doch schon der „Freitag“ hat in der Schweiz eine Bedeutung, die im Gemeindeutschen nicht bekannt ist:

    Freitag CH der; -(e)s, -e: [arbeits]freier Tag:
    Die zehn Jährchen sitzt du auf der anderen Arschbacke ab, dann gibt’s ein ganzes Monatsgehalt und drei Freitage extra! (Aeschlimann, Wellauer 163)
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 262)

    So wundert es uns auch nicht, dass wir noch vor dem „Freipass“ (in der Schweiz keine neue Angriffsvariante im Fussball im Finale der WM am 9. Juli gegen Deutschland, sondern eine Legitimation für etwas im Allgemeinen Unerwünschtes) und dem „Freisinn“ (was nicht „frei von Sinnen heisst, sondern in der Schweiz kurz für „Freisinnig -Demokratische Partei“ steht) auch die „Freinacht“ im Variantenwörterbuch erklärt bekommen:

    Freinacht CH die-,…nächte:
    Nacht ohne Polizeistunde, für einen ganzen Ort oder ein einzelnes Vergnügungslokal: „In der Nacht auf Samstag und Sonntag ist Freinacht angesagt“ (NLZ 20.6.01, Internet)

    Auch der Duden kennt das Wort:

    Freinacht, die (schweiz.): Nacht ohne Polizeistunde; ausnahmsweise durchgehender Betrieb in einem Restaurant.

    Selten hatten wir soviele überzeugende Funde bei Google-Schweiz zu vermelden: 5.600
    Google-Deutschland findet das Wort nur im Zusammenhang mit Fasnachtbräuchen, Masken, Walpurgisnacht oder Mainnacht. Hat dort definitiv nix mit Sperrstunde etc. zu tun:

    Walpurgis / Freinacht / Beltane 30. April
    Walpurgis ist das bekannteste klassische Hexenfest. (…) Da von der Kirchenführung eine Heilige als Namenspatronin des Festes vorgeschoben wurde, kann man davon ausgehen, daß es sich ursprünglich um ein Fest zu Ehren einer weiblichen Gottheit, nämlich der Fruchtbarkeitsgöttin Freya handelte. In Süddeutschland wird es mancherorts auch »Freinacht« genannt, die Nacht, in der alles erlaubt ist. Es ist sehr wahrscheinlich, daß hier »Frei« nicht von »Freiheit«, sondern von Freya abgeleitet ist. (…)
    (Quelle: veras-hexenküche.de)

    So unterscheiden sich die Völker: Während in der Schweiz in der Freinacht gesoffen wird bis in die Puppen, verehrt man in Deutschland unter gleichem Namen die Fruchtbarkeitsgöttin Freya. Fragt sich nun, was hier bekömmlicher ist. Freibier oder Freya?

    

    6 Responses to “Wenn die Nacht einmal frei hat — Was ist eine Freinacht in der Schweiz und in Deutschland?”

    1. cocomere Says:

      Und wie heisst denn Freinacht im Resten des deutschen Sprachraumes? Es muss doch ein Wort dafür geben, in andern Sprachen gibt es das auch.

    2. Egon Says:

      nein! Ewig nur Feiern, freimachen, Jokertage, hier die Brücke … beim Gewerkschaftsvorstoss für fünf Wochen Feiern, äh Ferien (eigentlich Urlaub – muss nämlich erlaubt werden) feststellen, dass dies die meisten schon haben und etliche schon sechs und somit eine Woche verlieren würden … ja das das gibt es nur ………. richtig bei den Rumänen

    3. AnFra Says:

      Freinacht, Walpurgisnacht: Die Sau rauslassen!?

      Ob im Ursprung der Walpurgisnacht ein Fruchtbarkeitsritus war, ist sehr anzuzweifeln. Unsere Vorstellung der Walpurgisnacht mit den kindlichen Vorstellungen von Ritus, Tanz, Sex und Orgien kann und muss man über Bord werfen.

      Unsere indo-germ. Vorfahren hat eine einfache gesellschaftliche Klassifizierung: „Wir“ und „all die Anderen“. Die „freien, lieben Sippenmitglieder“ und die „alien“ lat. „alienus“ und engl.-angl.sächs. „alien“ für fremd. „Wir sind die Sippe und das direkte Umfeld und die Anderen sind die „wilden Kerle“ aus dem Wald. Um hier liegt m. E. die Verwirrung mit „frei, frank, fremd, wild, unfrei, andersartig“.

      In der indo-germ. Sprachenfamilie haben die Gegenbegriffe von „ich, wir, frei, lieb“ den Bezug zum Grauen, Fremden, Unbegreiflichen: Den Leuten aus dem Wald! Wald und wild haben die gleiche Sprachwurzel und den Sinninhalt: Das unmenschliche, unzivilisierte und grauenhafte Etwas aus dem Wald, wo immer das Fremde herkommt.
      Bis ca. 1.800 n. Ch. waren im deutschspr. Raum alle Herbergen mit dem Namen „Wilder Mann“ immer außerhalb der umfriedeten Stadtmauer. Es war eben für die „wilden“, fremden Männer.
      Im Angedenken an die Varus-Schlacht vor 2.000 Jahren kann man sich gut vorstellen: Über die röm. Legionäre kommt das germanische Grauen aus dem Wald. Heutzutage kann man im ital. „forestiero“ für fremd, ausländisch noch den Wald heraushören. Auch beim ital. „selvaggio“ für adj. wild ist „selva“ aus Wald erkennbar. Diese kleinen Beispiele zeigen uns: Der Wald ist wild!!!
      Bei der Walburga kommt eine Besonderheit hinzu: Ihren ursprünglichen Namen muss man im angel-sächs. Kontext sehen, da sie aus England stammte. Ihr ursprüngliche Namenschreibweise war u. a. Waltpurga = Waldburga. Also kann man ihren Namen als von der „Waldburg-Stammende“ deuten. Vergleichbar bei Schillers Wallenstein = Waldstein. Als heilige Frau hat Walburga keine Bezug zu sexistischen Feierriten.
      Die Freia als Odin angetraute Frau war als seine „Freia, Freiin, also die Liebste“. Der niedrigste Adelstitel war Freifrau, worin eben die Verbindung zum Frauherrn erkennbar war / ist.
      Und hier schließt sich der Reigen: Denn am besagten Tage gab es keine Riten wg. Fruchtbarkeit, Sex und Ringelpietz, sondern all die Anderen, die Wesen aus dem Wald, also die Wilden, die Grauenhaften und Fremden haben die Sippe, ihr Heim und Hof heimgesucht, im wahrsten Sinne.
      Es gab in dieser Freinacht besuch von den Kobolden, Zwergen, Wichteln, Trollen (!!!) und den Hexen, die als „Haghockerinen“ als ehem. ausgeschlossene, verwitwete oder alleinlebende Frauen im Wald nun als Kräuterkundige zwischen dem „freien, lieben“ Menschen und dem „wilden“ Wald pendeln. Siehe auch die schaurigen Märchen bei den Brüdern Grimm. Bei diesen besagten Besuchen wurden u.a. Gegenstände verlegt, die menschliche Ordnung durch die Wilden durcheinander gebracht, die Sachen waren an einem anderen Ort. Die Alien haben alles „wild“ durcheinander geworfen. Eigentlich eine spannungsgeladene und problematische Nacht, dieser Besuch bei den „Freien“. Aber hin und wieder gab es Geschenke und kleine Gaben an die Menschen.
      Den Ursprung der Freinacht könnte man in diesen „wilden“ Besuchern sehen, welche die Freien und Lieben des Sippenherrschers besuchten und später im Mittelalter dann auch noch Freibier zechten. Der Begriff Freibier war im Mittelalter nicht ein Synonym für kostenloses Bier, sondern es war frei von herrschaftlichen Abgaben und Steuern. Also werden bei diesen Freinächten gewisse Regeln und Gesetze außer Kraft beachtet.

      Heutzutage haben wir auch ne wilde Schmonzette: Dracula. Herr des Krypto-Kannibalismus und der Sexhörigkeit aus Transsilvanien / Siebenbürgen. Dracula = krul dracul = Der grauenhafte König des Drachenordens aus dem Land jenseits der Wälder!

      Da der „wilde“ Fremde, der nicht zu uns gehört, immer aus dem wilden Wald oder der grauenhaften Fremde kommt, ist nun nachvollziehbar, warum die alemannischen Eidgenossen mit Entsetzen immer nach Norden über den Rhein stieren. Zum Ort des wilden Grauens blicken, von der freien, lieben Heimat aus. Aber es gilt auch hier die Umkehrung der Standortbetrachtung.

      PS: Die Sau rauslassen? Natürlich in den Wald, wo sie bei den Eichenbäumen ihr Futter finden. Diese lieben unfreien Sauen (tatsächlich / richtig: Schweine), die domeszitierten Nachkommen der wilden freien Wildschweine!

    4. Brun(o)egg Says:

      Früher – vielleicht auch heute noch – war der der Unterschied zwischen Ferien und Urlaub in der Schweiz: Ferien sind bezahlt, Urlaub ist unbezahlt und der Arbeitgeber muss einvestanden sein. Heisst heute Sabatical. (Noch so ein blöder Yankee-Ausdruck).

      Übrigens mit der Freya würde ich schon mal ein Freinacht machen. Adresse bitte!

    5. Egon Says:

      nur für die, die noch nicht in der Schweiz leben:

      Das freizügige Schweizer Meitli ist ganz rechts im Bild. Erkennt man an der Brille. Es ist das einzige Modell, welches aber in kaumzählbaren kleinstnuancierten Varianten angeboten wird.

    6. Ric Says:

      In Bayern ist die Freinacht die Nacht zum 1. Mai in der Autos mit Klopapier eingewickelt und in Briefkästen gepinkelt wird 😉
      Und der Donnerstag vor der Freinacht ist der „Blaue Donnerstag“ in denen zumindest traditionell kein Unterricht an Schulen gehalten wird und die Blätter durchs Treppenhaus fliegen. Freilich ist das die letzten Jahre mehr und mehr zurückgedrängt worden, wie so mancher schöne Brauch.