Warum wissen die Deutschen so wenig über die Schweizer?

Januar 7th, 2013

(reload vom 17.4.06)

  • Warum sind Deutsche arrogant und ignorant?
  • Eines der Vorurteile der Schweizer gegenüber den Deutschen bezieht sich auf deren angebliche Arroganz, gepaart mit der Ignoranz der Deutschen, was die Lebenswirklichkeit in der Schweiz angeht. Die Deutschen wissen nichts oder wenig über die Schweizer, das stimmt. Doch ist das ihre Schuld?

  • Warum brauchen die Deutschen eine Gebrauchsanweisung für die Schweiz?
  • Thomas Küng sagte in der Sendung QUER am 24.03.06 auf die Frage von Patrick Rohr „Haben die Deutschen eine Gebrauchsanweisung für die Schweiz nötig? Wissen sie nicht, wie man umgeht mit den Schweizerinnen und Schweizern?“

    Ja, ganz eindeutig. Für die Deutschen sind ja die Schweizer ein Volk, dass sie irgendwie zu kennen glauben, aber sie sind für sie völlig exotisch, und wenn sie dann zu uns kommen, sind sie überrascht, dass sie die Schweizer eben doch nicht kennen. Also wir schauen regelmässig das Deutsche Fernsehen, wir wissen wie die Deutschen Politiker sich gegenseitig nieder machen, und wir völlig konsterniert dasitzen und denken, das kann doch nicht sein, das auf der einen Seite nur die Idioten sitzen, und auf der anderen Seite nur die Cleveren. Also das man irgendwie was zusammen machen muss. Also wir kennen Euch sehr gut, aber die Deutschen haben von uns eigentlich keine Ahnung, deshalb brauchen Sie eine Gebrauchsanweisung.
    (Quelle: Transkript vom Videostream)

    Thomas Küng hat Recht bei seinen Ausführungen, aber er sagt auch nicht die ganze Wahrheit. Die Schweizer können tatsächlich via Kabel oder Satellitenschüssel die Deutschen Sender ARD, ZDF sowie die zahlreichen Privatsender empfangen. Und wie ist es umgekehrt?

  • Schweizer Fernsehen nur für die Schweiz
  • Was die wenigsten Schweizer wissen: Es gibt keine Schweizer Sender im Deutschen Fernsehen, auch nicht via Satellit oder Kabel! Nur im grenznahen Bereich ist der Empfang über die Hausantenne und über Kabel möglich. Will ein Auslandsschweizer in Deutschland auch dort SF1 und SF2 über Satellit empfangen, kann er dies kostenlos bei der Schweizer Botschaft beantragen. Ausserdem muss er seine Sateliten-Schüssel auf den richtigen Sateliten ausrichten, und das ist nicht ASTRA. [Dank für den Hinweis an SU nach Osnabrück]. Es ist der klassische Trugschluss: „Wenn ich alles über Deutschland sehen kann, müssen die doch auch alles über die Schweiz empfangen“.

    Deutsche können also gar kein Schweizer Fernsehen empfangen, bis auf wenige ausgewählte Sendungen, die meistens synchronisiert oder zumindest untertitelt auf 3SAT gezeigt werden. So z. B. in der Sendung „Schweizweit“. Es gibt keine Schweizer Tagesschau in Deutschland, kein 10 vor 10, keine Arena, kein QUER mit Patrick Rohr. Wenn dieser in Deutschland unterwegs ist, wird er nur im grenznahen Lörrach auf der Strasse angesprochen, und zwar von Schweizern. Sonst kennt ihn niemand.

  • Billige Sendelizenzen für nur 7 Millionen Zuschauer
  • Patrick Rohr hat es mir nach der Sendung erläutert. Es hängt einfach mit den Lizenzkosten zusammen, die in der Schweiz für die Ausstrahlung von Spielfilmen gezahlt werden müssen. Sie sind im Vergleich zu Deutschland sehr niedrig, weil das potentielle Zielpublikum nur aus den 7 Millionen Einwohner der Schweiz besteht. Würde das Schweizer Fernsehen auch in Deutschland oder via Kabel oder Satellit zu empfangen sein, müssten wesentlich höhere Lizenzkosten bezahlt werden. Darum kommt es manchmal zu der absurden Situation, dass teure Spielfilme in der Schweiz gleichzeitig auf ORF, SAT1 und SF zu sehen sind, mit gleicher Startzeit und unterschiedlichem Ende, wegen unterschiedlich langer Werbeeinspielungen. Deutsche Zuschauer sehen nur die SAT1 Fassung, SF wird nicht ausgestrahlt in Deutschland.

    Die Ausführungen von Thomas Küng klangen ein wenig vorwurfsvoll:

    „Also wir kennen Euch sehr gut, aber die Deutschen haben von uns eigentlich keine Ahnung, (…)“

    Durch das Fernsehen, das ist richtig, kennen uns die Schweizer oder meinen uns jedenfalls zu kennen. Und weil in Deutschland kein Schweizer Fernsehens empfangen werden kann, haben die Deutschen oft keine Ahnung von der Schweiz. Es ist ihnen deswegen aber auch weiss Gott kein Vorwurf deswegen zu machen.

  • Was lernt man aus dem Fernsehen über sein Nachbarland?
  • Natürlich stellt sich die Frage: Was kann man aus dem Fernsehen über sein Nachbarland lernen? Eine ganze Menge, vor allen Dingen über den Alltag. Während Deutsche Telenovelas in der Schweiz empfangen werden können, die Schweizer also auch seit ewigen Zeiten das sozialtherapeutische Dauerexperiment der „Lindenstrasse“ verfolgen können, herrscht anders herum absolute Funkstille. Kein „Lüthi & Blanc“ für die Deutschen. Kein Einblick in den Schweizer Alltag für Deutsche. Ganz ganz selten kommen Spielfilme ins Deutsche Fernsehen, natürlich auf Hochdeutsch, die in der Schweiz gedreht wurden und ein ganz kleines Stück Lebenswirklichkeit der Schweiz widerspiegeln. Beispiel: Joachim Król in „Tod eines Keilers“. Der Film wurde erst in der Schweiz gezeigt, auf Schweizerdeutsch (Król wurde synchronisiert!), dann auf Hochdeutsch in Deutschland.

    Deutsche, die gern Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche oder Die Zeit lesen, sind in der Regel ein bisschen besser informiert über die Schweiz, denn alle grossen Tageszeitungen haben Korrespondenten in der Schweiz. So berichtet Konrad Mrusek für die FAZ aus der Schweiz, und Jürg Altwegg schreibt ebenfalls regelmässig für die FAZ aus der Schweiz. Der Schweizer Publizist Roger de Weck war 1997 bis 2001 Chefredakteur der ZEIT und schreibt auch heute noch ab und an für deutsche Zeitungen. Natürlich ist der Einfluss und die erreichte Zielgruppe einer Tageszeitung nicht zu vergleichen mit dem Fernsehen.

  • Schweizer Zeitungen und Schriftsteller in Deutschland
  • Ganz abgesehen davon haben Schweizer Zeitungen wie die NZZ oder die Weltwoche auch eine ganz ordentliche Leserschaft in Deutschland! Schweizer Autoren wie Urs Widmer, Markus Werner oder Martin Suter haben sicherlich mehr Leser in Deutschland als in der Schweiz, es kann also nicht viel dran sein an dem Vorwurf, dass wir Deutsche uns nicht für den Alltag und die Lebenswirklichkeit der Schweizer interessieren würden. Wieso werden sonst solche Bücher wie „Die dunkle Seite des Mondes“ (Martin Suter) gekauft, die in Zürich spielen und gespickt sind mit Lokalkolorit und Beschreibungen der Schweizer Alltagsgesellschaft?

  • Schweizer in Deutschland verheimlichen ihre Sprache
  • Fazit: Liebe Schweizer, hört auf uns Deutschen unsere Unwissenheit bezüglich der Schweiz und ihrer wundervollen Sprachvielfalt vorzuwerfen. Wer können zum Grossteil nichts dafür, denn Eure Fernsehsender werden uns in Deutschland einfach vorenthalten.

    Nur wer sich für die Schweiz interessiert, Zeitungen liest oder Bücher von Schweizer Autoren, wird sich mühsam sein eigenes Bild der Schweiz bereits in Deutschland machen können. Dabei fehlt natürlich die Erfahrung mit dem Schweizerdeutschen, denn jeder Schweizer, der nach Deutschland kommt und dort arbeitet (und das sind immerhin 72.000 Schweizer zur Zeit!), lässt sein heimatliches Idiom daheim. Wir kennen nur Emils Schweizerdeutsch, und das wird wohl für alle Ewigkeiten so bleiben.

    Leben ohne Genitiv — Jahresende ohne „des“

    Dezember 28th, 2012

    (reload vom 31.12.05)

    Bald ist das Ende des Jahres 2012 gekommen. Die Deutschen feiern diesen Tag bzw. Abend als „Silvester“, in dem sie sich am Abend in einem der vielen Dritten Programme zum x-ten Mal die Wiederholung von „Dinner for one“ anschauen, bis um Mitternacht Siedler oder Rommé spielen oder Stefan Raab glotzen, dann mit einem Glässchen Mumm-Sekt auf die Strasse gehen, um sich die Ohren durch Nachbars Feuerwerk abbrennen zu lassen.

  • Strassenkampf um Mitternacht
  • Um Mitternacht herrscht Krieg auf Deutschlands Strassen, es werden Gefechte zwischen Strassenseiten und regelrechte Schlachten mit den Knallern und Raketen veranstaltet. Türen und Fenster sollten gut geschlossen sein in der ersten Stunde des neuen Jahres, sonst finden Sie plötzlich einen China-Böller, Knallfrosch, „Zisselmann“ (so heissen die „Frauenfürze“ in Norddeutschland) oder eine Rakete in Ihrem Schlafzimmer wieder. Die Zürcher lassen sich da mehr Zeit. Sie sind um Schlag 12.00 Uhr mit Anstossen beschäftigt, was bekanntlich eine Weile dauert (siehe Blogwiese) und brauchen erst um 00.20 Uhr auf die Strasse zu gehen, denn vorher gibt es kein Feuerwerk und Knallerei, sondern nur Kirchenglocken zu hören.

  • Kein „Ende des Jahres“ in der Schweiz.
  • Die Schweizer haben das „Ende des Jahres“ abgeschafft. Hier heisst es wesentlich häufiger kurz und bündig „Ende Jahr“ (Google 167.000), wie „Ende des Jahres“ (67.000 Belege)

    Beispiel aus dem Newsportal www.news.ch:

    Operativer Chef von Unaxis geht auf Ende Jahr (Quelle: news.ch)

  • Leben ohne „des“
  • Der Genitiv ist für die Schweizer eine viel zu komplizierte Angelegenheit bei zeitlichen Angaben, ausserdem gilt es wieder, Platz zu sparen in diesem kleinen Land, warum also dann das Wörtchen „des“ verwenden wenn es auch ohne geht? So heisst es in der Schweiz folgerichtig häufiger „Anfang Monat“ (897 Mal ) als „Anfang des Monats“ (690 Mal)

  • „Anfang Jahr“ statt „Anfang des Jahres“
  • Besonders krass ist der Unterschied beim Jahr: „Anfang Jahr“ (140.000 Mal) und nicht „Anfang des Jahres“ 23.000 Mal.

    Beispiel aus dem Zürcher Unterländer vom 9.12.05:

    Rafz: Schulsozialhelferin beginnt Anfang Jahr ihre Arbeit

    Sogar „Anfang Woche“ findet sich 103’000 Mal

    Bleibt uns nur noch, den Lesern der Blogwiese einen „Guten Rutsch“ zu wünschen, also einen „Guten Jahresanfang“ (mit Genitiv-S!), denn daher kommt dieser Wunsch:

    Einen guten Rutsch! — das wünscht man einander zum Jahreswechsel. Doch obgleich dieser im deutschsprachigen Raum oft von Schneematsch und Glatteis begleitet ist, hat der Wunsch damit nichts zu tun, und auch die Assoziation mit dem Hineingleiten ins nächste Jahr (Einen guten Rutsch ins neue Jahr!) ist nur eine Volksetymologie. Rutsch geht hier vielmehr mit Umweg über das jiddische/rotwelsche rosch auf das hebräische rosh zurück, was Kopf oder auch Anfang heißt. Man wünscht einander also schlicht einen guten (Jahres-)Anfang (Quelle:)

    Kein Nikolaus bei den Schweizern — Schweizer Bräuche in der Adventszeit

    Dezember 6th, 2012

    (reload vom 6.12.05)
    Am 6. Dezember ist weltweit der Namenstag vom Heiligen Sankt Nikolaus. Weltweit? Nicht so in der Schweiz, denn hier bekommt der gute Mann einen ganz eigenen Namen.

  • Der Bruder von Sammy Davis?
  • Der Schweizer Nikolaus heisst „Samichlaus„! Nun, da haben doch sicher die Amerikaner ihre Finger mit im Spiel gehabt, als sie ihren „Rat Pack“ Sänger Sammy Davis jr. mit einem Schweizer Insekt sprachlich kreuzten und das Ganze mit etwas „Confederation Helvetica = CH“ in der Mitte ausstaffierten? Sami-CH-Laus? Welche Laus ist ihnen da über die Leber gelaufen? „Chonnsch druus“, oder bleibst Du lieber drinnen?
    Die Wahrheit liegt in den Mechanismen der Sprach-Verschleifung verborgen. Aus Sankt-Nikolaus wurde über viele Umwege Sam-i-chlaus. „Sankt“ mutierte zu „Sam„,“ i-kolaus“ zu „i-Chlaus„. Nix mit Sammy Davis zu tun, was an sich schade ist, so käme mal ein bisschen Musik mit ins Spiel.

    Ein Bischof mit Namen Nikolaus beschenkte vor vielen hundert Jahren arme Kinder mit Äpfeln und Nüssen. Später wurde er heilig gesprochen, und in Erinnerung an den wohltätigen Mann kommt noch heute der Sankt Nikolaus am 6. Dezember, seinem Namenstag, zu den Kindern. In unserer Mundart wurde aus Sankt Nikolaus «Samichlaus». Sein Knecht mit Namen Ruprecht heisst bei uns «Schmutzli».(Quelle)

    Die nächste Frage, die wir uns unweigerlich stellen müssen, ist warum der gute alte Knecht „Ruprecht“ in der Schweiz eine Verkleinerungsform von „Schmutz“ verpasst bekommen hat:
    Der „Schmutzli„. Nun, er kommt mit einem geschwärzten „schmutzigen“ Gesicht daher. Aus Tarngründen, damit die Kinder nicht so leicht den Nachbarn Herrn Bünzli oder den Onkel Hansruedi unter der Maske erkennen können. Samichlaus hat ja seinen fantastischen weissen Bart, um nicht erkannt zu werden. Beim „Schmutzli“ muss es schwarze Schminke zusätzlich zum Bart im Gesicht tun.

    Wir finden, der sieht regelrecht zum fürchten aus. Fehlt nur noch die Sense und eine Sanduhr, dann könnte der glatt als „der Tod“ durchgehen.

  • Gritibänz und Stutenkerl
  • Zu essen gibt es am 6.12. in der Schweiz auch etwas, und zwar „Gritibänz„.
    Grittibänz mit Besen
    Wie kommt er nur zu seinem merkwürdigen Namen?

    Der Name „Gritibänz“ (auch „Grittibänz“ geschrieben) ist ein zusammengesetztes Wort und kann entsprechend analysiert werden. Der Wortteil „Bänz“ kann als Kurzform des Namens „Benedikt“ interpretiert werden. Dieser Name war früher sehr häufig und bot sich deshalb als Bezeichnung an, ähnlich wie das bei anderen Namen auch zu beobachten ist, die für spezielle „Komplimente“ verwendet werden. So heisst es in der Mundart beispielsweise oft auch „e Chlaus“, e Goiferludi (=> Ludwig) oder „Es isch Hans was Heiri“ (= Es läuft auf dasselbe hinaus). Auch Kombinationen mit dem Vorwort „Suuf-“ (= Trinker) sind anzutreffen.

    Der erste Wortteil kommt von „gritte“, was etwa soviel wie „die Beine spreizen“ bedeutet. Aufgrund der Teigform ist das nachvollziehbar. Das Wort „gritte“ kann seinerseits weiter zurück verfolgt werden. So kannte man früher im Kanton Aargau das Substabtiv „e Gritti“ (= alter Mann, der breitbeinig geht) und auch die Beschreibung „grittlige“ mit der Bedeutung von „rittlings“. Letzlich gibt es auch Verbindungen zum Wort „grätschen“, das jedem Turner ein Begriff ist.

    In Basel heisst der Gritibänz entsprechend „Grättimaa“, weil es dort dafür das Wort „grätte“ gibt und „Maa“ schlicht Mann bedeutet.

    In Zürich und im Thurgau heisst das Pendent zum Gritibänz „Elggermann“. Nach der Legende hat ein geschäftiger Bäcker aus der Gemeinde Elgg diesen Teigartikel hergestellt und auf den Märkten der Umgebung erfolgreich verkauft. (…) (Quelle🙂

    In Deutschland ist diese Figur unter anderem als „Stutenkerl“ bekannt, denn „Stuten“ ist der Name für das leckere Weissbrot. Was mich nicht davon abhält, den passenden Kalauer zu erzählen:

    Kommt ein Hengst in eine Bäckerei und fragt: „Haben Sie Stuten“?

    Ein echter „Stutenkerl“ hat eine funktionstüchtige Pfeife aus Ton mit eingebacken. Willkommen bei Jung und Alt, um damit am Nikolaustag vor den Freunden im Kindergarten anzugeben oder in der Grundschule seine ersten „Tabakpfeifen-Raucherfahrungen“ hinter der Turnhalle zu machen, von der Gelb- bis zur Grün-Phase sozusagen (Gesichtsfarbe).

    Dann lieber selbstgemacht Lebkuchenmänner verzieren und niemals verzehren:
    Lebkuchen selbst verziert

    Die Süddeutschen sagen übrigens nicht „Stutenkerl„, sondern „Weckmann“ zu diesem leckeren Gesellen. Das hat einen einfachen Grund: Kaum wurde er am Nikolaustag von den Kindern im sauber geputzen Stiefel vor der Wohnungstür gefunden, ist er schon wieder „weg, man„. Ratz fatz gegessen beim Frühstück, so lange er noch frisch und geniessbar und nicht steinhart geworden ist.

    Die Schweizer, speziell die aus Chur, haben noch andere merkwürdige Sitten zur Advents- und Weihnachtszeit. So verspeisen sie zum Beispiel auch die Gebeine ihrer Toten: Totebeinli“ schmecken echt lecker und werden von den lokalen Zahnärzten gesponsort.

    Deutsche wollen Klarheit , Schweizer brauchen Zuhörer

    Oktober 31st, 2012

    Ende letzten Jahres (in der Schweiz „Ende Jahr“) berichtete der Tages-Anzeiger über eine Masterarbeit der Psychologin Gabriela Suter, welche die Probleme bei der Zusammenarbeit von Deutschen und Schweizern zum Thema hatte. Die Ergebnisse finden wir höchst spannend:

    Die Deutschen wollen Klarheit, die Schweizer brauchen Zuhörer
    „Der Der ewige Kampf mit den Deutschen. Arrogant seien sie, heisst es. Und besserwisserisch. Und vorlaut. Die Schweizer dagegen: langsam, unklar und des Hochdeutschen nicht mächtig.”

    (Tages-Anzeiger vom 31.12.2011, alle Zitate von hier)

    Es stimmt, dieses Vorurteil hält sich hartnäckig, wenn auch bei der Frage, was denn nun eigentlich „arrogant“ sei, die Meinungen stark auseinander gehen. Hochdeutsch an sich sei schon arrogant, heisst es, weil es die Sprache des Lehrers für die Schweizer symbolisiert, der einen stets gemassregelt hat, wenn man sich in dieser Sprache ausdrücken musste. Was die Frage angeht, ob Schweizer des Hochdeutschen nicht mächtig sind, so sind wir ganz anderer Meinung: Es leben über 72 000 Schweizer in Deutschland, die sprachlich hervorragend assimiliert sind. Bruno Ganz wurde von uns nie als „Schweizer“ Schauspieler wahrgenommen, und zahlreiche seiner Schweizer Schauspielerkollegen haben Engagements an deutschsprachigen Theatern.

  • Es gibt mehr Verbindendes als Trennendes zwischen Deutschen und Schweizern
  • In ihrer Arbeit fragte sich Gabriela Suter:

    „Worin besteht er aber denn genau, der oft genannte «kleine Unterschied» zwischen uns und den Deutschen? Und wie wirken sich die unterschiedlichen kulturellen Backgrounds auf die Teamarbeit in einer Unternehmung aus?“

    Beobachtet hat es jeder schon einmal, aber mit wissenschaftlichen Methoden untersucht wurde es bislang noch nicht.

    «Natürlich gibt es zwischen Deutschen und Schweizern mehr Verbindendes als Trennendes», sagt Suter. Dennoch beinhalte derselbe Sprachraum keineswegs dieselbe Kultur.

    Hinzu kommt, das es auch innerhalb Deutschlands einen stark variierenden Sprachraum gibt, mit sehr unterschiedlicher Kulturen. Ost-Kultur gegen West-Kultur, kühle Hanseaten gegen bierselige Baiern (damit auch „Protestantismus vs. Katholizismus“), fröhliche Rheinländer versus sture Westfalen, diese und viele weitere Unterschiede machen jede Verallgemeinerungen sehr schwer. Deutschland ist eine Industrienation, Urlaubsland und Agrarland in einem, je nachdem wohin man schaut.

    Die Eigenschaften, die uns trennen, führt Suter auf die Spezialisierung der Wirtschaft zurück, was vorhergehende Studien bereits belegt haben. Während in der Schweiz der Dienstleistungssektor stärker ist und so der direkte Kontakt mit Menschen dominiert, ist Deutschland ein traditionelles Industrieland.

    Diese Untersuchungen würde ich gern einmal lesen, denn ich kann nicht nachvollziehen, dass sich in dieser Hinsicht Deutschland und die Schweiz stark unterscheiden. Natürlich gibt es prozentuel weniger Schwerindustrie in der Schweiz, aber hochspezialisiert produziert wird im Grossraum Zürich, Basel und Lausann-Genf genau wie im Musterländle Badenwürttemberg oder in Bayern nebendran.

  • Partizipativer Führungsstil vs. Kasernenhofton
  • «Deutsche orientieren sich eher an einem direktiven, Schweizer mehrheitlich an einem partizipativen Führungsstil», kommt Suter zum Schluss. Der Schweizer strebe demnach auch nach mehr Autonomie am Arbeitsplatz. «Der Deutsche ist eher gewohnt, von oben organisiert zu werden beziehungsweise zu organisieren.» Dies schlage sich auch im Handeln nieder. «Deutsche wollen bei einer Problemlösung schnell Klarheit und auf den Punkt kommen – Schweizer suchen erst ein gemeinsames ‚mentales Modell‘, also eine gedankliche Übereinkunft, wie die Frage zu verstehen sei, bevor es zur eigentlichen Problemlösung kommt.»

    Konsenskultur mit partizipativen Elementen in der Schweiz, und zentralistischer Kasernenhof Führungsstil in Deutschland. Haben wir das nicht schon immer gewusst?

    Deshalb, so Suter, agieren Schweizer und Deutsche extrem gegensätzlich: Die Deutschen warfen in ihrer Studie gleich zu Beginn der Debatte eine Lösung in die Runde; bei den Schweizern kam der erste Lösungsansatz erst in den letzten 20 Prozent der Diskussion. «Schweizer schauen zuerst, dass alle auf einer Ebene sind, um dann einen Kompromiss zu finden», erklärt Suter. Die Deutschen würden zuerst die Lösung präsentieren und diese dann verteidigen. Habe sich eine Lösungsvariante durchgesetzt, würden sie die Zeit nutzen, um die Idee auszuformulieren, während Schweizer zum Schluss eine eher vage formulierte Lösung vorlegten.

  • Nicht auf den Punkt zu kommen macht einen Deutschen ganz wahnsinning
  • Es ist genau diese „vage formulierte Lösung“, die die Deutschen dann in die Verzweiflung treibt, weil sie gern genau wissen, wo so dran sind und was Sache für sie ist.

    «Da aber bei den Schweizern gedanklich alle auf einem Level sind, kann der Einzelne daraus das weitere Vorgehen für sich ableiten.» Dem Deutschen jedoch, der vor allem seine Meinung äussern und diese vertreten will (und weniger dem anderen zuhören möchte), entgeht dabei, wie die gemeinsame Lösung und das weitere Vorgehen aussehen. Suters Fazit: «Deutsche haben ein Hör-, Schweizer ein Sprechhandicap.»

    Oder anders formuliert: Deutsche sind nicht auf Konsens gepolt, sondern haben eher gelernt, mit allen Mittel ihre eigene Überzeugung gegen alle Widerstände durchzusetzen.

  • Wer kann besser zuhören? Der Deutsche oder der Schweizer?
  • Eine weitere Ursache für Konflikte am Arbeitsplatz liege darin, sagt Suter, dass Schweizer beleidigt seien, weil die Deutschen ihnen nicht zuhörten. Deutsche hingegen fühlten sich gemobbt, weil sie meinten, nicht genug informiert worden zu sein. Der Grundstein für dieses Verhalten wird meist schon in der Erziehung gelegt. So zählt in Deutschland Durchsetzungsvermögen zu den wichtigsten Erziehungszielen. In der Schweiz strebt man laut Suter dagegen in erster Linie nach gutem Benehmen und korrektem Auftreten. Dies lasse sich auf das Arbeitsverhalten übertragen.

    Ich bin fest davon überzeugt, dass auch in Deutschland „gutes Benehmen“ und „korrektes Auftreten“ zu den klassischen Erziehungszielen gehört. Wer die nicht beherrscht, wird in der Wirtschaft und in der Gesellschaft unweigerlich scheitern. Es wird z. B. wesentlich länger gesiezt als in der Schweiz, und weil der Umgang miteinander direkter und knapper ist, bleibt er dennoch immer korrekt. Es bleibt alles eine Frage der Wahrnehmung, wie ein Schweizer den Deutschen im Alltag erlebt: „Freundlich und offen“ und „aufdringlich direkt“ kann ein und dieselbe Person sein, von einem Schweizer oder einem Deutschen wahrgenommen.

    Während der Schweizer gerne zu langen Epilogen ausholt und sein Fachwissen ausbreitet, damit auch jeder alles versteht und niemand übergangen wird, sitzt der Deutsche da und wartet darauf, dass sein Gegenüber endlich auf den Punkt kommt. Sehr konkret sei das in einer eigentlichen Schweizer Gruppe zu beobachten gewesen, in der ein Deutscher sass, der schon länger in der Schweiz lebt. «Während die Schweizer sich des Langen und Breiten über eine Thematik ausliessen, sass der Deutsche gelangweilt daneben und schaute sich im Raum um.»

  • Wer sich nicht anpasst, kommt nicht zum Ziel in der Schweiz
  • Ich möchte daraus nicht ableiten, dass „Gutes Zuhören“ etwas spezifisch Schweizerisches sei, das den Deutschen abgeht. Wer jedoch eigene Durchsetzung und „schnelles auf den Punkt kommen“ schätzt, muss als Deutscher in der Schweiz erheblich dazu lernen. Es braucht eine Weile, bis man zum Thema kommt, und wenn wir uns nicht an die lokal üblichen Kommunikationsformen anpassen, ist sehr schnell Ende mit der Kommunikation. Jedes Gespräch mit einer Versicherung am Telefon oder mit einer Behördenvertreter auf dem Amt ist zum Scheitern verurteilt, wenn man als Deutscher auf seine sachlich richtigen Argumente besteht und sie auf Teufel komm raus durchdrücken will.

    Ob es deswegen wirklich „Welcome“ Kurse braucht, oder man nicht mit ein wenig Offenheit und Sensibilität das selbst erkennt, möchte ich anzweifeln. Gutes Zuhören können kommt jedenfalls immer gut, nicht nur in der Schweiz.

    Was Schweizer gerne essen (Teil 5) — Ein Pferdehüftsteak bitte!

    Oktober 8th, 2012

    (reload 11.1.06)

  • Einmal das Pferdehüfsteak bitte
  • Als ich noch ein deutscher Neuling in der Schweiz war, führte mich ein freundlicher Schweizer Kollege in ein grosses Migros-Selbstbedienungs-Restaurant zum Mittagessen (=„z’Mittag“). Die Warteschlangen beim Tagesmenü waren uns zu lang, also gingen wir zum „Grill-Corner“. Dort hing ein Schild „Heute Pferdehüftsteak“. Noch nie hatte ich gesehen, dass jemand in der Öffentlichkeit Pferd isst und dafür Werbung gemacht wird. Nun, wenn die Schweizer so was essen, dann wollte ich das auch mal ausprobieren, gemäss der alten Globetrotter-Weisheit:
    If in Rome, do like the Romans“. Also sagte ich schüchtern zum Grillmeister:

    „Einmal das Pferdehüftsteak bitte“.

    Wir wissen von Geissenpeter, dass die Deutschen immer alles „einmal“ haben möchten, um ganz sicher zu sein, dass da nicht plötzlich zwei Steaks auf den Teller wandern.

    Nun, der Grillmeister drehte sich nach hinten um und brüllte laut in die Küche: „Pferdehüfsteak fertigmachen“, was natürlich zur Folge hatte, dass sich sofort die ganze Crew und alle anderen wartenden Kunden zu mir umdrehte und ich begafft wurde wie ein Menschenfresser. Man war das mega peinlich, so als Pferde-Esser geoutet zu werden! Scheint wohl doch nicht so üblich zu sein, hier Pferdefleisch zu essen.

    Es dauerte ziemlich lange, bis das Steak auf den Grill kam, wahrscheinlich mussten sie erst noch das Pferd einfangen und dann schlachten, oder es wurde aus der hintersten Ecke des Kühlschranks geholt, was weiss ich.

  • Kein Cumulus im Migros-Restaurant
  • Dann ging es ab zur Kasse, zu meiner Lieblingskassiererin, die uns immer mit einem freundlichen: „enguetedankegrueeziii“ begrüsste. Am Anfang ging ich davon aus, dass dies die übliche Verabschiedung an der Migroskasse sei. Aber die ist ja bekanntlich „Hen Sie Cumulus?„. Nein, ich kann mit Messer und Gabel essen. Obwohl im Migros-Restaurant ist Cumulus gar nicht erlaubt.

  • Pferdfleisch in Deutschland und in der Schweiz
  • Meinen ersten Pferdemetzger sah ich in Allschwil bei Basel. Dort in der Nähe vom französischen Elsass haben die Schweizer kein Problem mit Pferdefleisch. Das meiste wird importiert:

    Die GVFI International AG in Basel ist der grösste Fleischimporteur der Schweiz. 8200 Tonnen Schweinefleisch, 6700 Tonnen Rindfleisch, 4800 Tonnen Lamm, 4200 Tonnen Geflügel, 800 Tonnen Wild, 700 Tonnen Pferdefleisch importierte die GVFI im letzten Jahr und belieferte damit Detailhändler wie Migros und Coop, Metzgereien, Grossisten, Fleischverarbeitungsbetriebe. (Quelle: www-x.nzz.ch)

    In der Schweiz wird Pferdefleisch schon lange importiert bzw. zu einem kleinen Teil für diesen Zweck gezüchtet:

    Was für deutsche Betrachter als absolut exotisch und fremd anmutet, findet in der Schweiz seit Jahren zunehmende Bedeutung: Die Zucht von Schlachtpferden. Zwar ist der Anteil von Pferdefleisch, gemessen am Gesamtfleischverbrauch, mit ca. 1% auch in der Schweiz sehr gering, aber immerhin mußten schon immer recht hohe Mengen aus dem Ausland importiert werden. So stammen bis heute ca. 70% des Bedarfs vor allem aus den USA und Kanada.
    (Quelle: members.aol.com/JSchwanke/fprods.htm)

    Aber auch in Deutschland kann man Pferdefleisch kaufen:

    Seit 1993 ist es in Deutschland gestattet, Pferdefleischprodukte gemeinsam mit anderen Fleischwaren zu verkaufen, so daß auch „normale“ Metzgereien Pferdefleisch im Angebot haben können. Einige, wenn auch nicht viele, machen von dieser Möglichkeit Gebrauch.
    Quelle: (members.aol.com)

    Also wollt Ihr es nun tun wie die Römer, wenn Ihr in Rom seid? Oder doch lieber nicht? Ganz nebenbei: Woraus ist eigentlich Jägerschnitzel, Zigeunerschnitzel oder Zürcher Geschnetzeltes?