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Als mein Lebenslauf zu kurz war — Warum ein CV keine Löcher haben sollte

  • Nur keine Kopie vergessen
  • Die Erlebnisse von Jul bei ihrem Umzug in der Schweiz riefen uns in Erinnerung, wie wir 1999 durch die behördliche Bürokratie-Mühle der Schweiz geschickt wurden. Es war ein ziemlicher Papierkram zu erledigen, um endlich den begehrten Ausländerausweis „B-Bewilligung“ zu erhalten. Einmal stockte das Verfahren über Wochen, weil von einem wichtigen Schreiben eine Kopie fehlte. Erst auf mehrmaligen Nachfragens des Treuhändlers, der für meinen damaligen Arbeitgeber den komplizierten Prozess abwickelte, wurde dies bekannt. Wir schickten dann die fehlende Kopie mit A-Post an die Behörde. Unter anderem wurde ein vollständiger Lebenslauf mit schulischem und beruflichen Werdegang verlangt, natürlich alles mit aussagekräftigen Zeugnissen und Zertifikaten belegt.

  • Was ist eigentlich Migration?
  • Meine erste Fassung geriet zu kurz, alles auf nur einer Seiten, mit drei beigefügten Zeugniskopien. „Mehr machen“ lautete die Anforderung des Schweizer Beamten, von dem ich damals noch nicht wusste, dass er für die „Migration“ arbeitete. Migration, das hatten wir zuletzt im Geographieunterricht beim Thema „Wanderbewegungen europäischer Völker“ behandelt. Im Kanton Zürich gibt es dafür, wie in allen anderen Kantonen, das „Migrationsamt“. Der Wunsch des Beamten war mir Befehl und so streckte ich das „Dossier“, was für mich bis dahin nur eine Antrag war, gehörig auf fünf weitere Seiten und zählte detailliert und pflichteifrig jede Zwischenprüfung und jedes Einzelexamen auf. Es reichte nicht, das Studium mit einem Staatsexamen abgeschlossen zu haben, der Weg dahin war wichtig, jeder bestandene Test musste belegt werden. Auch nach dem Uni-Abschluss sollte jede berufliche Fortbildung und Weiterqualifikation dokumentiert sein, mit Datum und Bescheinigung. Im Studium nannten wir diese Prozedur „Scheine sammeln“ und juxten schon damals damit rum, dass „der Schein trügt“.

  • Die Bildung gehört ins Büchlein
  • Die Schweizer haben die Nachweistechnik erfolgreicher Fortbildung perfektioniert durch die Erfindung des „Bildungsbüchleins“ . Dort hinein lässt sich der sorgsam fortgebildete Schweizer offiziell jede Fortbildung eintragen, abstempeln und unterschreiben. Man weiss ja nie, wann es einmal gebraucht wird. Das Wort ist in Deutschland unbekannt. Dort trägt man ja auch seine Bildung weder im Schulsack noch im Rucksack mit sich herum, und muss sie auch nicht in einem Büchlein dokumentieren.

  • Bitte den CV genau belegen
  • Der „Lebenslauf“ ist in der Schweiz ein CV, von „Curriculum Vitae“, und wird gesprochen wie „Zivi“, was Deutsche Ohren leicht missverstehen können als die Abkürzung für einen Zivildienstleistenden. Ausserdem ist der „CiVi“ leicht zu verwechseln mit der „CEVI“, der Schweizer Version vom CVJM und CVJF. Bis heute konnte mir niemand so genau erklären, was die vier Buchstaben eigentlich genau bedeuten. Wahrscheinlich entstand die Abkürzung beim Zvieri, der Schweizer Variante vom Deutschen „Kaffee-und-Kuchen“ um 15:00 Uhr. Nichts wird im CV so sehr gesucht und gefürchtet wie ein undokumentiertes „Loch“. Ein Satz wie „Zur Vertiefung meiner Kenntnisse in Knastrologie und Gitterkunde“ hielt ich mich von 1998 bis 2000 in Stuttgart-Stammheim in einer staatlich geführten Weiterbildungsreinrichtung auf“ kommt also gerade richtig. Nur nichts verschweigen oder Löcher entstehen lassen!

    Wer gern fremde CVs liest oder sich ein paar persönliche Daten zuverlässig beschaffen möchte, dem hilft die Google-Suche CV site:.ch filetype:pdf . Sie fördert 138.000 hübsche CV = Lebensläufe aus der Schweiz im PDF Format zu Tage. Als Word-Dokument gebe man am Ende einfach „filetyp:doc“ ein. Identitätenklau leicht gemacht, siehe hier.

    

    24 Responses to “Als mein Lebenslauf zu kurz war — Warum ein CV keine Löcher haben sollte”

    1. nasobem Says:

      Cevi ist die Abkürzung der Abkürzung. Wem CeVauJottEmm zu lang ist, der sagt halt Cevi. Das hat sich dann so eingebürgert.

    2. Videoman Says:

      Bildungsbüchlein ? Noch nie was davon gehört. Ich war immer in der Schweiz in der Schule/Studium.

    3. Selma Says:

      Das klingt ganz so, als ob Einwandern in allen europäischen Ländern gleich kompliziert ist. Bis ich in England mal eine National Insurance No. und ein Bankkonto hatte, lag auch ein langer mit Formularen und Briefen gepflasterter Weg hinter mir.

      Was um alles in der Welt ist denn das Bildungsbüchlein? Nie gehört, nie gesehen. Jens, handelt es sich hierbei tatsächlich um ein physisches Büchlein? Was man auf Blogwiese nicht immer alles so über sein Heimatland lernt…. (explizit KEIN Ironiesmiley)

      Was Zivildienstleistende und Lebensläufe anbelangt: Für CV habe ich eigentlich bisher nur „Siiwii“ gehört, mit stimmlosem s. Das Wort Zivi gibt es hier auch, heisst „für einmal“ sogar dasselbe. Und der Cevi („Zäfi“) heisst wie nasobem bereits sagte, eigentlich CVJM, was wiederum für „Christliche Vereinigung junger Menschen“ steht.

    4. Tellerrand Says:

      Als ich 1999 in die Schweiz kam, hiess das Amt für Migration noch Fremdenpolizei und auf den Ausländerausweisen prangte die zentrale Botschaft: „Der fehlbare Ausländer kann weggewiesen werden“. Es fällt mir bis heute schwer in diesem Schweizenamtsdeutschen Hinweis auf die tendenzielle Kriminaliät der Nicht-Schweizer einen Willkommensgruss zu sehen.

      Naja, richtig einladend war die inzwischen abgeschaffte Bezeichnung Einwohnerkontrolle auch nicht. Und wenn auf dem Schweizerpass damals zu lesen gewesen wäre: „Der fehlbare Schweizer kann ins Zuchthaus kommen“ hätte man kaum von Diskreminierung sprechen können…

    5. Henry Says:

      …richtig. Eine aus Deutschland importierte sprachliche Faulheit alles mit der Verniedlichungsform „i“ enden zu lassen, f.e.: Schumi für Schumacher, usw.

    6. Henry Says:

      Selma: = Christlicher Verein junger Männer, hingegen: = Christlicher Verein junger Frauen; also fromme BoyScouts, usw.

    7. Henry Says:

      # Videoman Says:
      March 27th, 2007 at 9:41 am

      Bildungsbüchlein ? Noch nie was davon gehört. Ich war immer in der Schweiz in der Schule/Studium.

      Aber ein Dienstbüchlein kennst du doch? Das ist für einen Eidgenossen wichtiger als als ein Bildungsbüchlein. Wird sowas wirklich für Einwanderer ausgestellt, nachdem keine „Löcher“ mehr festgestellt wurden? Ist es sowas, wie bei wandernden Zimmerleuten in Deutschland, die auf der Walz‘ waren?

    8. töpflischiiser Says:

      Also nur zur Ergänzung bei CVJM steht oder vielmehr stand das M für Männer, deshalb gibts auch das CVJF da steht das F für Frauen…

    9. jotge Says:

      Ich hatte „Bildungsbüchlein“ auch noch nie gehört. Gem. Google handelt es sich um den Bildungspass (auch Bildungsbüchlein genannt): Herausgegeben wird der Bildungspass vom Schweizerischen Verband für
      Weiterbildung SVEB [http://www.sveb.ch/001alc_030500_de.htm], mit Unterstützung der Schweizerischen Konferenz der
      kantonalen Erziehungsdirektoren EDK.“ Hinweise auf den Bildungspass findet man auf den Webseiten diversen Organisationen, die Kurse anbieten.

      Kurzbeschreibung z.B. hier
      http://www.iw-eb.ch/?Abschl%FCsse:Bildungspass_plus

      … was es nicht alles gibt …

    10. Thomas Says:

      Ich war auch lange Zeit im Cevi. Ich betrachte das auch als eine Abkürzung für CVJM die sich einfach eingebürgert hat wie Figugegl.
      Bildungsbüchlein: Ich sammle Diplome und Zertifikate, von einem Bildungsbüchlein hab ich noch nie was gehört.
      Find ich cool, dass ich hier sogar noch was über die CH lernen kann.
      Vom Dienstbüchlein bleibt Jens ja zum Glück verschont… Nun ja, dieses Jahr kommt der ‚Entlassen‘-Stempel rein. *freu*.
      CV: Also ich würde das „çV“ aussprechen. ist halt einfach die englische Aussprache (auch wenns eigentlich Latein ist). Ist zudem eher ne neumodische Erscheinung, wohl durch BWL und MBA Fritzen in die Unternehmungen gebracht. Vor 15 Jahren konntest du dich auch mit ‚Lebenslauf‘ bewerben.

    11. Phipu Says:

      Erst mit Fremdsprachenkenntnissen habe ich gelernt, was en CV ist. (frz. „le CV“ [sseewee]). Sonst war das für mich auf Deutsch immer nur unter dem Ausdruck Lebenslauf bekannt. Aber in der heutigen Arbeitswelt ist es ja schliesslich normal geworden, dass lieber englisch statt verständlich gesprochen und geschrieben wird.

      An Henry

      Ich bin nicht so sicher, ob das mit den Verniedlichungsformen auf „-i“ so klar aus Deutschland stammt. Ich definiere das als typisch zürcherisches Phänomen. Bisher ist mir dies nur im Zusammenhang mit Städtenamen im Grossraum Zürich aufgefallen. (Rappi, Wädi, Büli, etc.). Diese Endung ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem „-li“. http://www.blogwiese.ch/archives/35

    12. Andrea Says:

      Oder die Berühmteste Schweizer Abkürzung auf i: Schoggi 🙂

    13. neuromat Says:

      dass man in Deutschland seine Bildung oder kontinuierliche Weiterbildung nicht dokumentieren muss ist so nicht zutreffend. In einer Reihe von Berufen wird dies verlangt, ist es sogar Vorschrift und wird auch überprüft. Ob man diese Auflistung nun Bildungsbüchlein nennt oder nicht, ist, glaube ich, zweitrangig.

      Interessant wird es eigentlich erst, wenn es im Rahmen der Migration daran geht, erworbene Zeugnisse, Diplome und Zertifikate nach Schweizer Richtlinien anerkennen zu lassen und somit ein Dokument mit einem farbenverkehrten Abzeichen des Internationalen Roten Kreuzes zu besitzen (wie ich hier letztlich gelernt habe).

      Sehr lustig sind auch die hierbei erhobenen Gebühren für eine eidgenössische Anerkennung… sie nehmen einem den letzten Rest Schamgefühl und Zurückhaltung bei der eigenen „ökonomischen Ausrichtung“.

      Die Darstellung mit dem nachgeforderten ausführlichen Lebenslauf lässt moich eher daran denken, dass vermutlich überprüft werden sollte, ob tatsächlich eine entsprechende Qualifikation des Ausländers vorlag – eigentlich nachvollziehbar, denn für den EDV- Bereich gibt es sicherlich eine hochstehende Ausbildung in der ETH.

      Das führt zu den Abk. In der Ex DDR gab es auch so eine (Un-)sitte alles mögliche mit Abk. zu versehen, wie manche IM bereichtet. Kaum einer weiss, dass EDV eigentlich erektile DysVunktion heisst, dies stört aber erst, wenn bei CV das C durch ein G ersetzt werden muss, was in der CH keiner speziellen eidgenössischen Regelung bedarf.

    14. Selma Says:

      Nachtrag zu CVJM: Ich dachte, auch die christliche Kirche sei im 21. Jahrhundert angekommen und hätte irgendwann im Verlauf der letzten Jahre beschlossen, das „M“ in CVJM nun für „Menschen“ und nicht nur für „Männer“ stehen zu lassen. Wenn dem nicht so ist, nehme ich dies missbilligend zur Kenntnis…

    15. Simone Says:

      Ich komme schon wieder nicht mit: Was muss ich mir anerkennen lassen und weshalb? Wen ausser meinem Arbeitgeber interessieren die denn sonst noch?

    16. Thomas W. Says:

      @Andrea: Die Fränkli nicht zu vergessen… (Ich bin ja schon weg, bitte nicht schlagen… Aua! Das tat jetzt aber wirklich weh!)

    17. Fanclub Says:

      Liebe Simone.
      Der oben dargestellte Fall, war von früher (lange her) als Migranten noch beweisen mussten, dass es die nötigen qualifizierten Leute in der CH nicht gibt und sie daher echt nötig seien hierzulande und sie drum migrieren dürfen…. Seit wir mitten in Europa sind und uns da anbiedern – äh sorry anpassen…geht das für EU-Bürger auch ohne echten Bedarf da wir ne Personenfreizügigkeit haben.
      Für Leute aus Indien (z.B.) ist es aber immer noch schwierig zu migrieren, die brauchen ein volles IT-Studium, damit sie hier den Druckertoner auswechseln dürfen.

    18. neuromat Says:

      @ simone

      nicht jeder zum Beispiel in Deutschland erworbene Abschluss ist in der Schweiz automatisch gültig. In der Tätigkeit als Angestellte sicherlich zunächst einmal von untergeordneter Bedeutung. Wenn Du etwas selbständig betreiben willst, kann es schwierig werden. Auch wenn wir wissen, dass uns die einfühlsamen und romantischen Italienerinnen am Besten die Haare schneiden können, bedeutet das nicht, dass sie ohne eidgenössisches Diplom oder eine entsprechende Anerkennung, die es glaube ich beim Coiffeur nicht gibt einen Coiffeursalon betreiben dürfen. Noch einfacher der „Führerausweis“. Zum einen weiss ich nicht, wer auf diese Bezeichnung gekommen ist zum anderen tut es mir leid, dass ich schon wieder vom Auofahren anfange. Nach einer bestimmten Zeit des Aufenthaltes wird der deutsche Führerschein für Schweizer Strassen nämlich ungültig, wenn man in der Schweiz lebt. Dann brauchst Du einen Schweizer Führerausweis… und so weiter und so weiter .. und jedes mal zahlen wir ein paar dieser Fränkli (Hi Thomas W.)

    19. Gerald Says:

      @Selma:
      Zitat aus von wikipedia.de:

      „Der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) ist mit insgesamt 45 Millionen Mitgliedern weltweit die größte überkonfessionelle christliche Jugendorganisation. Ihr gehören 122 Nationalverbände an. Der evangelisch geprägte CVJM-Gesamtverband in Deutschland e.V. ist der größte christlich-ökumenische Jugendverband in Deutschland. In der deutschsprachigen Schweiz wird der Zusammenschluss des CVJM (hier für Christlicher Verein Junger Männer) mit dem Christlichen Verein Junger Frauen Cevi genannt. International bekannt ist die Bewegung unter dem Namen Young Men’s Christian Association (YMCA).“

      Wobei man sicher darüber diskutieren kann ob das „Men“ in YMCA für Männer oder Menschen steht. Im Englischen gibt es ja keinen Unterschied zwischen Männern und der Menschheit.

    20. Schnägge Says:

      Sehr geehrter Herr Wiese,
      könnten Sie mir bitte eine Bescheinigung ausstellen über die Teilnahme an einem internetgestützten Fortbildungskurs über die Vermeidung sprachlicher und kultureller Konflikte im südwestlichen deutschsprachigen Raum? (Nur für den Fall, dass ich in Erklärungsnotstand gerate und Löcher stopfen muss, wenn mein Arbeitgeber mich fragen sollte, was ich in der ganzen Zeit getrieben habe, die ich mit dem Lesen dieses wunderbaren Blogs und der ebenso wunderbaren Kommentare verbringe… 😉 )

    21. Brun(o)egg Says:

      @ Selma

      Sie sind noch im 19. Jahrh. Man(n) macht da die ersten sexuellen Erfahrungen. Passt doch, oder?

    22. Fiona Says:

      MUTTI vor Schoggi….

      P.S. Re CV. Heute muss Kandidaten „Interests“ (Hobbies, Sports) erwähnen. Z.B. Alte Autos sammeln und restaurieren; team sports (in einem Team muss man integrierbar sein – „a good player“ sein).
      Bildung (Education) : nur Lehre resp. Uni-Abschlüsse auflisten.
      Career to date – detailliert.

      Vor allem sollten „Achievements“ and „Recognitions“ aufgelistet werden (e.g. „Out-performed given targets ever year“ oder „Elected Member of the Chairman’s Club“ (typisch bei US-Banken). Und somit ist eine glänzende Karriere bei einem ausländischen resp. bei einem Schweizer (SMI- kotiert) Grossunternehmen (fast) garantiert. No kidding!

    23. Christian Says:

      @Brun(o)egg: Mit selbiger Logik, müssten Fraueninternetcafés Relikte des 19. Jh. sein. Man(n) könnte sich nur wünschen, dass dem so wäre.

    24. Gery us büüli. Says:

      na klar gibts das Bildungsbüechli.. smile hab schon einige Stempel da drin. Nur schade das mein VHS Zertifikatskurs in Elektronik in der VHS Hauptstelle in Frankfurt ausgestellt wurde und darum auch die deutsche Benotung erhält. So wird aus einer guten Zeugnis Note (5) die doch sehr schwache Leistung (2). So fragt sich jeder Schweizer Personalbeauftragte warum ich soo „schlechte“ Noten hätte. Dabei ist das doch nur wegen der umgekehrten Notengebung Schweiz / Deutschland. Scheiss Spiel…